Liebe in groben Zügen
Tisch, neben den aufgereihten Teilen ein Becher mit grünem Tee. Früher im Dorf hatte er sein Luftgewehr Marke Diana, ein Weihnachtsgeschenk, nach jedem Schießen geölt, einen Tropfen in den Lauf getan, dann einen Bindfaden durchgezogen und zwei Tropfen in das Scharnier, das den Lauf, nach unten gedrückt, zu einem Hebel machte, um damit die Luft zu stauen; er hatte sogar die Schulterstütze geölt, damit das Holz schön glänzte. Und wenn er nachmittags allein war, die Hug Tulla im Confiserieladen aushalf, die Mutter in Freiburg für ihren nächsten Kulturabend nach einem passenden Kostüm suchte und der Vater seine Vorhangstoffe anbot, ging er mit dem Gewehr in den Garten und schlich um die knorrigen Apfelbäume, bis er einen Spatz sah. Und erst jetzt machte er das runde Blechdöschen mit den Diabolokugeln auf, die er beim Eisenwaren-Kromer für fünfzig Pfennig gekauft hatte, und schob eine der Kugeln, die gar keine waren, sondern die Form kleiner Eierbecher hatten, oder genauer noch: die der kleinen Sanduhr in seinem Schreibprogramm, in den abgeknickten Lauf, was dem Vogel Zeit gab, fortzufliegen: die faire Chance für ein Überleben. Blieb der Spatz aber sitzen, zielte er auf die helle Brust, während ihm das Herz im Hals schlug, und drückte in dem Moment, in dem Kimme, Korn und Federkleid eins waren, ab. Ein leiser trockener Knall, und der Spatz kippte nach hinten weg und fiel durch die Äste ins Gras, und er lief hin und sah ihn dort liegen, in den hellen Federchen ein Blutstropfen, die kleinen Augen starr, und oft bewegten sich die Flügel noch einmal, gingen halb auf und blieben so stehen, mit einem Nachzittern, das ihn mitzittern ließ. Er vergrub den Spatz im Kompost, ölte das Luftgewehr und legte es in seinem Zimmer, eingeschlagen in ein Tuch, weit unters Bett, damit er es nicht am nächsten Tag, in der trägen Stunde zwischen zwei und drei, schon wieder hervorholte, sondern erst nach einer oder auch zwei Wochen, wenn das Verlangen danach zu groß wurde. Er hatte es im Griff gehabt, das Spatzentöten, bis sein Internatsfreund in den Sommerferien auftauchte, Cornelius Kilian-Siedenburg, der zum vierzehnten Geburtstag neben Büchern und dem Lesegeld auch einen heiß erwünschten Gasdruckrevolver bekommen hatte, Kaliber fünf Millimeter, etwas mehr als das Luftgewehr.
Ein Blut-August. Sie beide so gut wie allein, die Mutter in einer Kur, Abano, der Vater einmal mehr zum Seideneinkauf in Bangkok, Tulla kochte für sie, eine stille Versorgerin, fast unsichtbar; vormittags blauer Himmel, sie gingen ins Freibad – das Bad, in dem Spiegelhalter als Junge am Reck geprüft worden war –, die Nachmittage drückend bewölkt, da zogen sie durch die Gegend, Gewehr und Revolver versteckt, bis sie eine Beute sahen. Am Anfang blieb es noch bei Spatzen, dann schoss Cornelius die erste Amsel. Ein guter Schuss oder Glückstreffer in den Kopf, und er wollte es ihm nachmachen und traf die nächste Amsel nur ins Gefieder, die Muskeln darunter; sie drehte sich immer wieder im Gras, den Schnabel aufgerissen, und der Freund nahm das Gewehr und schoss ihr in den Rachen. Und jetzt ein Eichhörnchen, sagte er, unvergessliche Worte, aber es gab keins, an keinem Baum ein Eichhörnchen, nur Tannenzapfen. Und spät am Abend lagen sie auf ihren Betten, nackt, weil es noch heiß war, und Cornelius kam mit einem Geständnis, sein Vater hätte gesagt, der Bühl aus einem Schwarzwalddorf sei für sein Alter schon ein Kopf, allen Gleichaltrigen überlegen. Ein Wort in der Dunkelheit, plötzlich abgerungen, um sich davon zu befreien, nur war es keine Befreiung, es stand von da an zwischen ihnen. Aber am nächsten Tag zogen sie wieder los, und auf halber Strecke nach Unterried kam ihnen am Waldrand eine Gans entgegen, die zu einem nahen Gutshof gehörte, der Birkenreute, und Cornelius holte den Gasdruckrevolver hervor und schoss in die weiße Brust. Bei der Gans sofort ein Aufflattern und raue Würgetöne, in ihren Federn lackrote Tropfen. Die kleine Kugel war nur ins Fleisch gedrungen, und Cornelius trat auf die Gans zu. Sie spreizte die Flügel, ihr Hals und Kopf waren wie eine Säule, und er schoss in den Hals, wo die Federn dünn waren, Blut trat in einem Rinnsal aus, und aus den Würgetönen wurde Geschrei, als könnte die Gans Hilfe herbeischreien, bis von dem Gutshof alle Tiere kämen, Schweine, Kühe, Pferde, um über den Schützen herzufallen, und der wollte das Geschrei beenden. Cornelius schoss erneut in den Hals, aus nächster
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