Liebe in groben Zügen
Nähe, und jetzt ein echter Blutstrahl, als hätte man in eine Tüte Tomatensaft gestochen. Die Gans keuchte nur noch und schiss schwärzliches Zeug, Cornelius schlug mit dem Lauf nach ihr, dass sie umkippte, und er, Bühl, nahm sein Luftgewehr und hielt die Mündung vor das Gansauge und drückte ab, und es war Ruhe. Danach rannten sie in den Wald, dort schworen sie sich, es für sich zu behalten, und die noch übrigen Tage verbrachten sie nur im Freibad, immer in der Nähe von rauchenden, lachenden Mädchen, aber keiner von ihnen traute sich, eines anzusprechen. Erst drei Jahre später hatte er sich das getraut, auf ein rauchendes Mädchen zuzugehen, in den Sommerferien mit seinen Eltern am Ossiacher See.
Der gereinigte Revolver war wieder zusammengesetzt, jedes Teil eingeölt, auch die Patronen in der Trommel; er lag gut in der Hand und hatte sicher auch gut in belgischen Soldatenhänden gelegen, letzter Teil einer Ausrüstung, wenn alles andere verloren war, wie in früheren Zeiten nach Verlust von Schwert und Lanze nur noch die bloßen Hände blieben, darin höchstens ein Knüppel, um damit auf den Gegner einzuschlagen, die eigene Niederlage noch irgendwie abzuwehren. Bühl wischte alle Ölspuren vom Tisch, er trank noch etwas und ging dann schlafen, die Waffe unter seiner abgelegten Kleidung; eine klare, feuchtkalte Nacht, das Klamme drang bis ins Bett, und am anderen Morgen der Wunsch nach Bewegung. Die Sonne schien, er packte einen Rucksack, Wasser, Brot, Salami, Ersatzsocken, ein Handtuch, und zwischen dem Ganzen der alte Militärrevolver. Am frühen Vormittag verließ er das Haus. Sein Ziel: der kleine Ort Campo oberhalb des Sees, zehn Kilometer nördlich von Torri, Franz hatte dort in einem Stall übernachtet, in seiner Poverelloversion, und es war auch ein Ort armer Leute, so arm, dass sie in den Sechzigern des vorigen Jahrhunderts ihr Campo aufgegeben hatten, um woanders Arbeit zu finden; seitdem dämmerten die grauen Häuser im Efeu. Er hatte in Vilas Zimmer einen Bildband entdeckt, die kleinen Orte oberhalb des Sees, Campo der einzig verlassene, auf der Seite sogar ein vilasches Lesezeichen, ein Foto von ihr, sie auf dem Familienboot, mit freien hellen Brüsten.
Er ging quer in dem Olivenhang, nach Norden hin immer steiler, kein Hang mehr, eine Bergflanke, die krummen Wege steinig, mal über Felsplatten, dann wieder durch Wald, schließlich durch dichte Macchia, und dort holte er die Waffe aus dem Rucksack und zielte auf einen Baum, den Arm ganz gestreckt, gefasst auf einen scharfen Knall samt Rückschlag, aber es klickte nur, und er drückte noch einmal ab, erneutes Klicken, die Patronen waren zu alt, waren feucht geworden, oder der Schlagbolzen taugte nichts mehr oder beides, und er steckte den Revolver wieder ein – im Ernstfall würde er nur schaden: nach dem ersten Klicken käme der Einbrecher zum Zug, also ihn besser gar nicht zurücklegen. Er aß das Brot und die Salami, dann ging er das letzte Stück nach Campo, bis zu einer Kapelle am Ortsende oder Ortsanfang, wie bewacht von einer uralten Riesenzypresse, zwischen den untersten Ästen weiche Einbuchtungen, kleine Hohlräume durch Pilz oder einfach Verfall, und in eine der bröseligen Spalten schob er den belgischen Gegenstand, damit er weg wäre, aber nicht aus der Welt, sollte Renz ihn vermissen. Sein Luftgewehr hatte er nach den Blut-August-Ferien ins Internatsgepäck getan, zerlegt in drei Teile, und an den Bodensee geschafft, es dort nach weitem Hinausschwimmen versenkt. Und Cornelius hatte auch den Gasdruckrevolver dabei, so war es abgemacht, konnte sich aber nicht davon trennen, und versteckte ihn nur unter seinen Hemden mit den Initialen auf der Brust und nahm ihn später wieder mit nach Hause, ein Regelbruch; sie hatten nie darüber geredet, während der ganzen Oberstufe nicht.
Eine Gruppe von Leuten an Skistöcken, nur ohne Schnee, kam zwischen den Efeuhäusern hervor, Wanderer mit einem Führer, der laut einen deutschsprachigen Vortrag hielt, und er machte, dass er wegkam – das alte Campo, das schon Franziskus gesehen hatte, wäre auch morgen und übermorgen noch da, wie die Waffe in der Riesenzypresse. Er ging jetzt zügig: der Schritt von Franz, als er sich noch als Ritter vorkam, keinen Krieg erlebt hatte; niemand begegnete ihm, ein stiller vorletzter Tag im Jahr, der See glattgrau, das Nachmittagslicht wie dünne Milch. Als es dunkelte, war er wieder im Haus und machte sich Maccaroni, nur in Butter und Parmesan gewälzt,
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