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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Frankfurtbesuch aus den eingelagerten Dingen geholt hatte, samt den alten Freundesfotos und der einzigen Aufnahme von Gerd Heiding, die er besaß, Heiding vor dem Ruderhaus, leider nur seitlich von hinten, der kräftige Rücken, das lange schwarze Haar, die Zigarette im Mund. Und nun lag es neben dem Foto, das Vila geschickt hatte, der Jamaikaner, oder was er war, beim Anködern, so hatte er auch Heiding in Erinnerung, oft auf etwas Nichtiges konzentriert, die sonst trägen Muskeln gespannt. Kaum zu fassen, mit welchem Ingrimm sein Gedächtnis an den heidingschen Dingen festhielt, dem dunklen Mund, den braungelben Augen, den geäderten, haarlosen Armen: die ihn eines Abends, nachdem sie im Zweier ein Paar waren und ihr Boot ins Ruderhaus zwischen Badewiese und Sportplatz getragen hatten, ein Juniabend mit verwirrend langer Helligkeit, auf einmal von hinten umschlangen, wie ein Lohn nach seiner ersten Fahrt im Zweier, Lohn für den Einzigen, der schon mit zwölf dieses Privileg erhielt, noch nicht ganz mit dem Körper dazu, aber dem Gefühl für ein Tun, bei dem zwei ihre Kräfte vereinen. Herrgott, du kannst das, sagte Heiding, als er ihn von hinten umfasste, an den Händen noch die Dollenschmiere. Und du kannst noch viel mehr! In sein Ohr gesprochene Worte, als eine der Hände schon das klebende T-Shirt nach oben pellte, um sich auf ein pochendes Herz zu legen, und die andere Hand seine Rudershorts bis zu den Knien streifte, um das zu umschließen, was sie so wenig anging wie die erste Hand das Herz, was aber ebenso pochte und aus der Faust mit dem Fett herauswuchs, weil sie sich bewegte, wie er die eigene später selbst bewegte: als sei Heiding in ihn hineingeschlüpft, seine Hand die eines Puppenspielers in der Puppe. Und dabei sprach er ihm weiter ins Ohr und sogar in den Mund, nachdem er ihm den Kopf verdreht hatte, tatsächlich verdreht, nicht bildlich. Dem Schwein ist alles Schwein, dem Reinen ist alles rein, sagte er und küsste ihn im selben Atemzug, den verdrehten Kopf in Händen, ein Kuss, der nach Rauch aus filterlosen Zigaretten schmeckte, und anschließend sahen sie beide auf das, was die Hand, die auch seine Hand hätte sein können, nun in gleichmäßigen, wie mit ihm abgestimmten Bewegungen tat, als säßen sie noch im Zweier und ruderten wie ein Mann mit vier Armen, bis es ihm erstmals kam, ohne den Beistand dieses Worts: ein loderndes Rätsel, das über Heidings Hand lief, während draußen in den Pappeln die Abendvögel pfiffen und auf dem Sportplatz hinter dem Ruderhaus noch gebolzt wurde und etwas oberhalb im Hermann-Hesse-Saal der Internatschor für das nahende Sommerfest Carmina Burana übte. Er war alle CDs im Haus durchgegangen, aber Carmina Burana fehlte, also summte er es vor sich hin beim Betrachten der Fotos, ausgebreitet über den ganzen Tisch, was den Dingen darauf etwas Leichtes gab, das Ganze eine Art Galerie, auf die man heruntersehen konnte, und mitten darin etwas ganz anderes, Teil eines fremden Lebens. Zwischen den Fotos lag die von Renz als belgischer Gegenstand bezeichnete Waffe seines Vaters, das vererbte Kriegssouvenir, aus einer plötzlichen Neugier hinter den Büchern hervorgeholt. Es war ein alter Lütticher Bulldog Revolver, leicht zu finden unter Alte Militärrevolver, die Trommel fünfschüssig, gegossener Stahl, die Griffschale Nussbaumholz mit Fischhautverschnitt, an der Unterseite, kaum sichtbar eingeritzt, renz ; und der Lauf extrem kurz, wenig zielgenau, dafür das Kaliber, elf Millimeter, von hoher Durchschlagskraft. Eine schöne, aber ungepflegte Waffe, der Stahl hatte matte Stellen, das Holz etwas Sprödes, die Trommel drehte nicht glatt, in den Kammern Schmauchspuren. Also hatte er beim Ferramento im Ort Fahrradöl gekauft und auch ein Drahtbürstchen, wie man es zum Putzen von Zahnrädern und Kette braucht – das Reinigen einer Waffe, ideale Aufgabe für einen Abend zwischen den Jahren. Mit einem kleinen Schraubenzieher zerlegte er den Revolver in seine Hauptteile, wie es ihm Cornelius als Junge beigebracht hatte, in Trommel und Griffstück, Druckfeder und Trommelhalter, den Hahn und den Abzug, Bolzen und Schlagbolzen und die alten hölzernen Griffschalen. Auch die fünf einzigen Patronen, aus der Trommel herausgedrückt, lagen auf dem Tisch, Originalmunition, älter als Renz, das Kupfer angegriffen von Feuchtigkeit – er würde wandern gehen in den nächsten Tagen und einen Probeschuss machen.
    Bühl begann mit dem Putzen der Trommel, er saß jetzt am

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