Liebe in groben Zügen
treibende Kraft. Und dabei hat sich dieser Lehrer nie für ihn interessiert. Er hat sich nur für die Ruderjungs interessiert. Ich war erst zwölf und saß schon mit ihm im Zweier.
Ihr habt gerudert, du und er, und danach? Vila steckte den Föhn ein; die Frage war schon weniger vorsichtig, aber Bühls Antwort ohne ein Zögern: Danach alles Mögliche. Sein Name war Gerd Heiding, wir nannten ihn Indianergerd.
Und seit wann ist Indianergerd tot?
Seit fast fünfundzwanzig Jahren.
Also starb er in deiner Zeit als Schüler.
Ja, aber er starb nicht einfach. Er ist ertrunken. Was ist mit deiner Sendung, wird sie abgesetzt?
Sie wird verjüngt.
Und du?
Ich nicht, sagte Vila. Ich werde etwas anderes machen, für eine neue Talkshow die Gäste gewinnen. Und vorher testen. Ich werde häufiger reisen. Wie ist Stein am Rhein?
Sehr schön, kleine Gassen, viel Fachwerk. Und mein Hotel genau am Wasser, das Rheinfels. Alles sehr schweizerisch, obwohl die Grenze keine fünfhundert Meter entfernt ist.
Und warst du als Schüler oft in der Schweiz? Wieder eine leichtere, harmlosere Frage, nur war das Gewicht des Ganzen zu groß, wie ein niederer Luftdruck, der auf allem liegt. Sie tupfte ihr Haar jetzt mit einem Handtuch trocken, und für einen Moment der Gedanke oder Wunsch, dass Elfi an der Tür klingelte, sie das Gespräch beenden müsste, auf eine natürliche Weise: alles erschien ihr auf einmal schwer und zugleich wie ein Trick, um rascher vorwärtszukommen, der Trick aller renzschen Vorabenddialoge. Ja, sagte Bühl. Wir sind nach Steckborn geschwommen, Cornelius und ich, dort haben wir zwei Zigaretten geraucht, Maryland, die gab es einzeln zu kaufen, haben uns aufgewärmt und sind wieder zurück. Mal war die Strecke leichter, mal schwerer, es kam auf die Rheinströmung an, wie stark sie war, wie kalt. Heiding ist bei Steckborn angeschwemmt worden, nach drei Tagen im Wasser, also haben die Schweizer den Fall untersucht – Tod durch Ertrinken. Was macht dein Haar, ist es schon trocken?
Ihr Haar, was machte ihr Haar, es machte nichts, es hing nur wirr, ihr Kopf machte alles – Bühl schien in der offenen Badtür zu stehen, sie anzuschauen, gleichzeitig schwamm er als Junge über den Bodensee. Ich habe es getönt, sagte sie und zog das Fenster wieder auf und hielt ihr Gesicht in das Schneetreiben. Oder was dachtest du über mein Haar? Eine fast ernste Frage, eine, die sie noch nie gestellt hatte, und er: Nichts. Was soll man über Haare denken? Ich denke nur, ohne Tönung wären sie schöner. Geht das eines Tages?
Wann eines Tages? Eines Tages ist keine Zeit.
Wenn wir uns in Unterried sehen.
Nein, bis dahin hält die Tönung, da musst du noch warten, kannst du warten? Sie nahm einen Kamm und zog ihn durch das verklebte Haar, bis sie Tränen in die Augen bekam wie beim Zupfen von Augenbrauen, dabei am Ohr Bühls Atem, zweimal tief ein und aus, Demonstration seiner Geduld, und dann sprach er plötzlich von Jahren, dass er im Grunde seit Jahren auf sie gewartet habe, ohne es zu wissen, kam aber von der Zeit auf ihr Haar zurück: um das sie sich jetzt kümmern sollte, statt zu telefonieren, in der Stille nach dem Auflegen trat sie vor den Spiegel, auf den Wangen das rasche Schmelzen der Flocken.
AUCH am unteren Bodensee, seinem Übergang in den Rhein, schneite es, nur um einen Tag verzögert, ein einziger Flockenwirbel in den Stunden, in denen das Licht schon wieder abnahm, obwohl die Tage bereits länger wurden – kein Wetter zum Autofahren, also ließ Bühl den Mietwagen am Hotel stehen und ging zu Fuß über die Grenze und dann am See entlang nach Aarlingen. Er kannte sich noch aus, Cornelius und er waren hier oft gelaufen, hatten Zigaretten, Kaffee und Schokolade geschmuggelt, alles viel billiger in der Schweiz, und in den Ortschaften am See unter der Hand verkauft, mehr Sport als Geschäft, aber ein Geschäft war es auch, und Aarlingen war damit auszuhalten. Man konnte nach dem immer gleichen Abendessen in den Badischen Hof gehen, sich ein echtes Jägerschnitzel kommen lassen, man konnte sogar Eva, der Bedienung, ein Trinkgeld geben, und sie beugte sich zum Tisch, dass man ihre weißen Brüste sah, in der Internatsöde schon wie ein Stückchen der Züricher Altstadt bei Nacht.
Aarlingen war von den Orten am Untersee, ja auf dem ganzen hügeligen Landstrich Höri, der kleinste, zu seinen Zeiten nur ein paar Bauernhäuser, umgeben von Obstbäumen, dazu die Wirtschaft Zum Badischen Hof und das Kaufcenter Ritzi, ein
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