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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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hexenhäuschenhafter Lebensmittelladen mit dem vermessenen Schild über dem Eingang. Alle größeren festen Gebäude gehörten zum Internat und lagen am See, das alte Herrenhaus, das neue Marbach-Heim, der Hermann-Hesse-Saal, die Badewiese mit dem Lager für die Boote, ein Ensemble gleich neben dem Landungssteg von Aarlingen, die Grenze auf der anderen Seite ein Schilffeld, das sich bis zur nächsten Ortschaft zog oder gezogen hatte – inzwischen waren dort einzelne Häuser am See, auf seinem Weg selbst im Schneetreiben zu sehen; nur wenn man von Aarlingen Richtung Horn weiterlief, war das Schilf unberührt, ein Vogelschutzgebiet, sommerlicher Rückzugsraum für ihn und den Freund. Bühl ging erst am Ufer entlang und das letzte Stück an der Straße, kaum befahren, so schneite es, ein Weg von einer Stunde, und als er gegen Abend die Zufahrt zum Hesse-Saal erreichte, lag auf den Autos, die dort standen – der Fuhrpark von Journalisten und Ehemaligen, die angereist waren –, ein alles gleichmachendes Polster. Nur ein BMW oder Audi hob sich mit seiner Panzerform ab, und er klopfte etwas Schnee vom vorderen Kennzeichen – Kilian-Siedenburg war sich treu geblieben: KS und als Nummer dreimal die Eins, wie die Ergänzung seiner Initialen. Eine Schülergruppe tauchte auf, sie kam vom Abendessen, und er lief um die verschneiten Autos herum Richtung See; bis zu der Pressekonferenz im Saal war noch genug Zeit für einen Gang ins Vogel- oder Freundesschutzgebiet.
    Sie hatten ihren Platz vor einer winzigen Bucht inmitten dichter Halme, hinter einer Bank führte ein Pfad ins Schilf, fast unsichtbar, wenn man die Halme wieder zusammenbog. Die Bank gab es nicht mehr, der Pfad war zugewachsen. Er drückte die Halme beiseite, sie brachen und splitterten in der Kälte, aber er kam voran, und nach zwanzig, dreißig Schritten stieß er auf die alte Stelle, nur mehr erkennbar durch eine kleine Verbreiterung, ein anderes Wachstum. Zwei Handtücher hatten dort einmal nebeneinandergepasst, seins und das des Freundes; mit Cola und Roth-Händle, der Musik von Police aus einem Recorder und Caesars Gallischem Krieg waren sie hier über die trägen Sonntage und Cornelius’ Lateinklippen gekommen. Gallia est omnis divisa in partes tres: die ersten Seiten hatte er ihm in allen Feinheiten erklärt, pars pro toto, damit der Freund die Oberstufe erreichte, und zuletzt lasen sie Catull, den erschloss er Cornelius mit nur einem Vers, Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris. nescio, sed fieri sentio et excrucior. Ich hasse und ich liebe. Warum, so fragst du vielleicht? Ich weiß nicht. Aber es ist so: Ich fühl’s, und es zerreißt mir das Herz. Im Schilf plötzlich leises Knacken, wie ein Geräusch von damals, übriggeblieben, und er verließ den Platz und ging zurück. Hinter dem Herrenhaus gab es noch die alte Abkürzung zum Hesse-Saal, durch die Büsche an der Weitsprunggrube aufwärts, so kam man zum Eingangsbereich. Und dort drängten sich jetzt Schüler und Erwachsene, und er wartete, bis die Letzten in der geöffneten Flügeltür stehen bleiben mussten, im Saal also kein Stuhl mehr frei war, dann erst ging er von den Büschen zum Eingang und sah den Hintersten in der Tür über die Schulter.
    Auf der Saalbühne – er hatte dort Theater gespielt, in Goethes Laune des Verliebten, den Eridon, Und wenn Amine mich auch noch so reizend küßt, Darf ich nicht fühlen, daß dein Kuß auch reizend ist? – standen im Scheinwerferlicht drei Tische nebeneinander, Tische, die zum Saal gehörten, Esstische waren, hinter den Tischen je ein Stuhl von den Stühlen, die es schon gab, als er mit zehn nach Aarlingen kam, helles Holz, graublaues Gestänge. Drei Personen saßen dort, vor sich ein Mikro, in der Mitte, kaum zu glauben, Cornelius. Er trug ein schwarzes Jackett mit weißem Hemd, ohne Schlips, dazu die ewig runde filigrane Brille, salve, alter Freund, sei gegrüßt, auch wenn du nicht weißt, wer ganz in der Nähe ist, dir zuhören wird, wie du seine Dinge erzählst. Neben Cornelius saß Julian Bohlander, auch der kaum verändert: Juliboy, noch immer blond mit Rehaugen, eigentlich nicht Heidings Typ, aber ein Vertreter der Opfer; weitere Betroffene saßen halb schräg zum Podium, Jacobitz, Zidona, Pohlmann und Treven, Jens von Treven, Pädagogikprofessor, sie waren sich auf einem Lehrerkongress begegnet. Und auf der anderen Seite von CKS die Leiterin von Aarlingen, eine Frau, die mit den früheren Vorfällen nicht das Geringste zu tun hatte,

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