Liebe in groben Zügen
ungezählte Male, auf der Massagebank, auf den Säcken mit Streugut, über den Kiel der Luckner gebeugt, Heiding bebend vor Verlangen, seiner Wahnsinnshoffnung auf Erlösung, die Augen in der Farbe von Malz, zwei aus dem Mund genommene Malzbonbons, ganz auf ihn gerichtet, sein Jungsgesicht, den Mund, die Wangen, die glatte Stirn – um zu lieben, braucht es nichts als Augen, Heidings Credo, Komm, Junge, komm jetzt: seine Gebetswörter, und wenn es so weit war, ein fast klagendes, wölfisches Du, während er ihn immer gesiezt hatte, selbst in den Atempausen beim Küssen, als er ihm fahrig übers Kinn strich, Sie sind nicht rasiert sagte, ja sogar ganz am Ende, als kaum noch Gegenwehr kam im dunklen Wasser, siezte er das schlaffe Bündel Mann unter ihm, Ersaufen Sie, los! All das lag weit zurück und war doch Gegenwart, abwesend anwesend, wie Vila, die er spürte, ohne sie umarmen zu können. Und nach dem Klagelaut, mit dem Heiding kam, sich an ihm oder in ihm erschöpfte, sank er in sich zusammen, ein muskulöses Kind, das ihm, einem größeren, die Brust küsste, den Bauch, das ebenso Erschöpfte zwischen den Beinen, jemand, der immer noch nicht erlöst war, immer noch suchte: Wo am anderen, in welcher Mulde, welcher Öffnung, finde ich die eigene Wahrheit, dunkel wie das Dollenfett, nach dem es trotz der muffigen Luft überall roch. Und er beugte sich über den Kiel der Luckner und atmete den Geruch ein – einmal noch, das letzte Mal –, er zählte still bis fünfzig, wie als Kind beim Versteckspielen, und wie mit Heiding, der sich selbst in ihm gesucht hatte, dann war es getan, für immer getan, und er verließ den alten Ruderhausschuppen.
Die Badewiese weiß und still, ebenso der Sportplatz, unwirklich hell in der Nacht. Er stapfte durch den Schnee auf der Aschenbahn bis zur Treppe, die zum Hesse-Saal führte, der offizielle Weg nach oben. Aus dem Saal ein Zwischenapplaus, wie auf ein ersehntes Wort hin, danach Cornelius’ Stimme, und er hielt dagegen, indem er laut die Stufen zählte, acht mussten es sein bis zum ersten Absatz, dann vierzehn und auf dem letzten Stück sieben, und so war es auch. Alles in Aarlingen hatte sich eingebrannt, das bleiche Licht in den Heimtoiletten, die Gerüche des Sonntags nach Kaffee und Rosenkohl, der stelzige Landungssteg, wenn der See im Winter zurückwich, das Tirili der Märzvögel, der erste Hundertmeterlauf, zwölf drei; die Agonie des Juni, der matte See mit Blütenstaub, das rasende Blau des Oktober, wenn mittags die Nebel aufgingen, das Fallobst, in der Sonne schmorend. Aber auch die Flötengriffe im Advent, Es kommt ein Schiff geladen, da brauchte es zu Beginn den kleinen Finger ganz unten rechts, oder das Laue des Abendtees, der Schimmer auf dem Streichkäse, die Margarine mit dem Namen Eden, ihr Zerfließen auf dem Brot. Und in warmen Nächten Heidings Griff, nachdem sein Ruderjüngster geseufzt hatte, wie er das noch Zuckende in Händen hielt und das Sämige darauf verstrich, als sendeten die Raucherfinger Stromstöße aus, kleine, süchtig machende Stöße, und doch stark genug, etwas auf Dauer zu zerreißen: nicht das Herz, mit dem man Seearme durchschwimmt, eher das, mit dem man zum Advent aufspielt.
Auch der Parkplatz hinter dem Saal war weiß, ein Auto wie das andere unter dem Schneepolster, nur Cornelius’ Panzer hob sich ab. Er klopfte den Schnee von einem der Fenster und warf einen Blick hinein, auf dem Beifahrersitz Kekse und die Neue Zürcher, eine Zeitung, der Cornelius schon als Schüler vertraut hatte, ebenso der Keksmarke Bahlsen, seine solide Seite; und die andere, das waren die Waffen, gut möglich, dass im Handschuhfach eine Röhm oder Luger lag, und wenn es ein Imitat war. Aus dem Saal wieder Applaus, und er fegte den Schnee von der Haube, bis nur noch eine feine Schicht darauf lag, in die schrieb er etwas mit dem Finger, sorgfältig jeden Buchstaben, jedes Wort. Amo et odi et excrucior. Ich liebe und ich hasse und es zerreißt mir das Herz, aber welches? Das des Advents, ewig kindlich, erwärmt von einfachsten Melodien, ein Gesangbuchherz, oder das der Erwachsenenjahre, ewig ruhelos, voller Spannung, wenn er die alte Freundschaft in sich durchging, ein verspannter Muskel, seit ihm die rauchende Studentin mit wippendem Haar und weichem Mund, von ihm geküsst im Regen, genommen worden war, wie jetzt die Geschichte mit Heiding vom selben Dieb. Er zog einen Kreis um die Worte, schon in Cornelius’ zerfleddertem Bello Gallico das Mittel, einen
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