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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Schwestern lieben. Sie kann ihn nicht zwingen, zu ihr zu kommen. Sie hat keine Gewalt über ihn, wie er keine mehr über sie hat. Nur das Ganze ist gewaltig, sie und er. Also schlägt er von Bologna die Gegenrichtung ein, will einmal mehr über den Apennin im Herbst. Er ist jetzt siebenunddreißig, auch wenn mancherorts gern erzählt wird, er sei erst Anfang elfhundertzweiundachtzig zur Welt gekommen, eine Unklarheit, die ihn begleitet: nach welchem Kalender man sich im kleinen Assisi gerichtet hat, dem von Pisa oder dem von Florenz. Aber die mildere Zahl macht ihn nicht jünger, als er aufbricht, nur einen Stab in der Hand und ein paar Früchte unter der Kutte. Schon auf dem Futapaß wird der Weg beschwerlich, nachts ein früher Schneefall, das Weiß bei Tag wie Salz in den Augen, sein Gesicht wird mit Lappen bedeckt, zwei jüngere Brüder führen ihn. Aber wohin? Vielleicht sollte er doch das Gewaltige suchen und eiligst zum Kleinen Meer gehen, dort Klaras Leib retten, wenn das noch möglich wäre, er kennt ihren Starrsinn. Eine Stimme rät ihm: kehr um – nicht die Stimme von Spoleto, es ist die eigene, die ihn zur Umkehr bringt. Seine Begleiter stellen keine Fragen, sie glauben an die andere Stimme und tun, was er sagt – wer kein Licht erträgt, wird von Gott erleuchtet. Franz sieht nichts und singt, singend treibt er zur Eile an. Bis die Kälte auch die Ebene erreicht, müssen sie am Benacus sein. Mit jeder Stunde, jedem Tag wird jetzt sein Bangen um die Schwester größer; erst war sein Herz verschlossen, nun klafft es auf. Und je weiter sie kommen, über die Paßhöhen wieder in Täler mit rostigem Weinlaub, süßen Trauben, und schließlich in die Ebene der Flüsse und Sümpfe, je genauer er abschätzen kann, wie viele Tagesmärsche noch vor ihnen liegen – keine zwei mehr ab Mantua, wenn der Mincio nicht zu hoch steht –, desto inniger sein Wunsch, sie nicht mit Haut und Knochen vorzufinden, als Fastengerippe. Sie soll noch die sein, die vor dem Streit um die Leitung von San Damiano Tag und Nacht um ihn war, so still und so notwendig wie die Luft. Er war ihr Ritter ohne Rüstung, sie sein Ruhm. Nach dem Streit hat er sich Richtung Spanien davongemacht, das war vor fünf Sommern, jetzt will er sie zurückhaben, sie und die Dornenkrone zugleich, das Bittersüße, und sein Gesang überschlägt sich, als sie am grünen Mincio entlanggehen, die Brüder auf dem letzten Stück hinter ihm. Er hat sich die Lappen von den Augen genommen, das Flußwasser funkelt, tränenblind setzt er einen Fuß vor den anderen, er will es selbst ahnen: Wo der Mincio aus dem See tritt, da liegt das strohbedeckte Haus der Schwestern, dort wartet Klara – er wird sich vor ihr Lager werfen und ihr das Fasten verbieten, und sie wird essen und singen und am Ende mit zu seiner Insel fahren, seiner Klause, ja überhaupt bei ihm bleiben (denkbar, aber nicht zu belegen: Klaras Schicksal verläuft sich in den Archiven, soweit sie geöffnet sind), sie wird ihm verzeihen, auch wenn der Garten um die Klause der Garten einer anderen ist: der, die einmal Wäscherin war, Gazza, die Elster, die ihm bei San Vigilio ihr Haar überlassen hat, die Schwester, die um ihn war wie ein Klarazwilling. Wer hat deine Beete gesetzt, wird die richtige Klara ihn fragen. Irgendein Gotteskind, kann er ihr antworten, ohne zu lügen.
    LIEBENDE bringen einander auf Trab, unaufhörlich, und müssen dafür kaum etwas tun, nur der Lust zum Erzählen nachgeben und ihrer Neugierde, wer bin ich?, wer bist du? Und jede Antwort, ob wahr oder halbwahr (irgendein Gotteskind), ist Teil eines Spiels: ein Würfelwurf aus leichter Hand, und schon wirft der andere auch, und die Augen addieren sich zu einem Gewinn – solange die Lust zum Erzählen vorhält, kurbelt sich die Liebe von selbst an. Erst wenn alle Geschichten durch sind, zweimal, dreimal, und jeder in etwas Unerzählbarem steckt, wenn beide auf eigene Rechnung würfeln wie Vila und Renz, muss ein Paar sich aufraffen, die Kurbel selbst bedienen, zusammen kochen oder in die Oper gehen oder wortlos ins Bett, um wenigstens der Gewohnheit nachzugeben.
    Nachdem sie Open End gesehen hatten – das Ende diesmal fast pünktlich, damit der Schriftsteller nicht noch einmal von Liebe anfängt –, saßen Vila und Renz im Bett und rauchten, seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder beide mit Zigarette; Renz hatte die Hand aufgehalten, als Vila sich eine ansteckte, und sie gab ihm gleich das ganze Päckchen in seinem viel zu breiten,

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