Liebe in groben Zügen
der Küche, sie saß in einer Art Kimono auf dem Tisch, ihre Füße mit lackierten Zehen pendelten. Es sei schon komisch, sagte sie, Hauptfigur eines Dramas zu sein, von dem keiner weiß, wann es endet. Der eigene Körper als Kino, du der einzige Zuschauer. Dürfte ich Ihre Karte sehen? Sie spielte die Frau mit dem Taschenlämpchen, die es in keinem Kino mehr gibt, und Renz teilte die Rauchspiralen mit der Hand. Er streichelte ihr Gesicht und im Grunde die eigenen Erinnerungen, ihre Nebelfahrt durch die Poebene, die Nacht von Chioggia, ihre Weiterfahrt ins Land, die Nacht von Lucca, Marlies’ Gier nach seinen Jahren, seiner Erfahrung, nach einer Substanz, die er vielleicht nur ausstrahlte. Tu es in mich hinein, hatte sie ihm einmal zugeflüstert und im nächsten Moment angefangen zu weinen, ein Zuviel des Guten oder Bösen. Er machte ihr ein Risotto mit Morcheln an dem Abend, und sie roch an einer der Morcheln und sagte: wie Samen, ein Wort beim Ausdrücken der Zigarette, danach ihr Husten und ein Schweißausbruch, sie taumelte Richtung Bad, er musste sie halten, ihren schon mageren, aber immer noch warmen Körper, ein Zu-Hilfe-Kommen in einem Flur mit Regalen bis zur Neubaudecke, in den Regalen Hunderte von Videokassetten, alles, was Marlies je an Filmen mit komplizierten Geräten aufgenommen hatte, das meiste aus den Jahren mit Kilian-Siedenburg, technisch und überhaupt von der Zeit längst überholt, aber sie konnte sich nicht davon trennen, auf den Hüllen Daten und Bilder der Regisseure, sorgfältig aufgeklebt. DVDs oder gar Filme auf Festplatten: schon ein erster Schritt ins Nichts; an die Regale mit den Kassetten konnte man sich wenigstens anlehnen. Renz streichelte ihr Haar auf der Höhe von Fellini, Federico, 8½ , Marlies hatte alles nach Regisseuren geordnet, und es waren nur Filme, wie sie hier im Fernsehen keinen einzigen hätte auf den Weg bringen können, ein Flur voller Träume wie seiner mit den Cineastenbüchern. Und in dem Träumeflur beruhigte er sie, eine Hand unter ihrem Kimono, auf der nassen Brust, und vor Augen plötzlich ein präzises Bild des eigenen Endes, seiner letzten Tage mit Schnabeltasse, der Maske des Todes, die sich sein Vater im Krankenhaus vors Gesicht gehalten hatte, daraus ein Geruch nach Kamille, bei ihm dann vielleicht auch nach Morchel – der Morchel, die Marlies noch in der Hand hielt. Er nahm sie ihr ab und machte das Risotto fertig, goss heiße Brühe über den Reis und rührte, in seinem Rücken die Frau, für die er kochte, ihre Arme um ihn geschlungen. Und das Essen schließlich im Bett mit Weißwein. Nur ein Glas, sagte sie, aber ließ sich bald nachschenken, die Beine über Kreuz, damit sie voller erschienen, und er erzählte von den ersten Zweiteilerszenen, fast ein Arbeitsgespräch, welche Figur ist noch zu blass, wo fehlt noch welcher Drive, wie muss das Ganze enden, damit ein Wilfinger ja sagt; Marlies war voller Ideen, das frühere Opfer könnte heute auch Schulleiter sein, mit Ehekrise, der Täter von damals in Pension auf Mallorca und scheindement, ein strategisches Vergessen – bis das Opfer ihn auf der Promenade von Palma anspricht, sagte sie und streichelte seinen Kopf, seinen Bauch, die Hoden. Das Noch-einmal-Arbeiten, es ging über in ein Noch-einmal-Lieben, auch voller Ideen, Marlies setzte sich rücklings auf sein Gesicht, sie überließ ihm ihren einzigen unveränderten Teil, so hell und weich wie am Anfang, und er tauchte darin ein, in ihr Verlangen, noch einmal, ein letztes Mal, ganz angenommen oder genommen zu werden, das war schon spät in der Nacht, und er war sicher, Vila würde in Hamburg, zwischen schwarzen Kanälen mit Ebbe und Flut, im Steigenberger Hotel schlafen, so fest, dass es einerlei wäre, was in München, unweit des Arri-Kinos, passierte.
Aber Vila sah auf einen der schwarzen Kanäle hinunter und telefonierte mit Bühl, sie erzählte von der Frau, die Küssen für eine seltsame Tätigkeit hielt und die ohne Sex nichts zu vermissen vorgab – nur erschien sie zu unserem Treffen in einem hautengen Kleid. Eine Frau, die mir gefallen könnte, wenn sie nicht dauernd ihr sexloses Leben verteidigen würde. Ob ihre Haut nie brennt, eine andere Haut will, fragte ich, und sie sprach von Sonnencreme, Faktor dreißig. Sie wollte mich provozieren, und ich sagte, so werde das mit ihr und der neuen Talkshow nichts – da will man schon hören, was Sie so weit von anderen Menschen entfernt hat, dass Ihnen Küssen und alles Weitere als seltsame
Weitere Kostenlose Bücher