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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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noch einmal um den Besuchsdienst, Renz auf dem Bett, wie er am Vorabend hineingefallen war, in Unterwäsche, das Haar zerwühlt, ein verwahrloster Vater, der seine Tochter beschwört. Erst danach zog er sich etwas an und holte aus dem Hotelrestaurant eine Minestrone, mit der sie Löffel für Löffel zu sich kam.
    Ihr Kopfweh verlor sich in einem Gefühl von Leere, so als würden sich auch alle frischen Erinnerungen verlieren, und sie griff nach dem Roman, den sie von Marion Engler bekommen hatte, Rot und Schwarz in dem Ziegenledereinband, und blätterte erst darin – Renz sah sich vom Bett aus irgendein Fußballspiel an, italienische Serie A – und begann dann zu lesen. Sie las, wie sie vorher die Suppe gelöffelt hatte, ein Sichauffüllen mit Sätzen, auch noch, als Renz schon schlief, die Stirn an ihrer Achsel, während sie auf dem Bauch lag, vor sich das Buch in den Händen, bis ihr die Worte verschwammen und sie das Licht löschte und die Erinnerungen zurückkehrten. Bühl, der ihr nichts hatte sagen können außer Bleib bitte. Bühl, nach einem Schuss auf seinen alten Freund verschwunden, kaum mehr als eine Mail-Adresse. Und mit ihm verschwunden auch ein bestimmtes Konzept von Glück, das zur Hälfte ihr gehörte: das eines Glücks, das nur die etwas angeht, die es erlebt haben. Diese Idee hatte er einfach mitgenommen, ein Gedanke in der Dämmerung, noch etwas ungenau; erst nach dem zweiten Aufwachen – sie hatten bis in den Vormittag geschlafen – von der Klarheit einer Formel. Sie frühstückte mit diesem Gedanken und packte damit ihre Sachen, während Renz bezahlte, sie trug den Gedanken in den Wagen, ein Start gegen Mittag; um eins waren sie auf der Fähre, das Übersetzen in Nebelschwaden, danach gleich die Weiterfahrt, sie wieder hinten in ihrer Klarheit. Mit dem Verschwinden des geliebten anderen verschwindet immer auch eine Idee von Liebe, weil der andere im Grunde nicht genug von ihr hält, weil er von sich selbst nicht genug hält. Also geht er samt der Idee, die er mit in die Welt gesetzt hat, verflüchtigt sich wie die Rücklichter eines Überholenden im Nebel. Die Autobahn immer wieder in niederen Wolken, dazwischen ein sonnendurchbrochener Dunst, weißlich vom nahen Meer oder staubig von trockener Erde. Kalabrien.
    Mal sah Vila aus dem Fenster, mal auf ihren Daumen, gestern hatte es nur den Kopfschmerz gegeben, jetzt gab es den wehen Nagel, darunter sogar geronnenes Blut. Sie nahm ihn in den Mund und blies dann kühlend auf die speichelnasse Kuppe, ein Pusten mit kleinen Melodien, die Art von Melodien, die etwas in einem vorbereiten, das dann doch überraschend passiert – hinter Cosenza ging sie in ihr virtuelles Privatreich, ein schneller Empfang noch vor dem Aufleben der Geschäfte am späteren Nachmittag. Zwischen dem Span nur zwei neue Mails, eine kurze, eine lange. Die kurze kam von Marion, ihr Dank für das Fest und der Hinweis auf eine Stelle in dem geschenkten Roman, Zitat: Wann werde ich endlich soweit sein, daß ich Leuten von meiner Seele nur soviel gebe, wie sie bezahlen? Und die lange Mail kam von Bühl, wieder keine Anrede, kein Begleitwort, nur eine Überschrift, Die Geschichte von Franz und Klara, der letzte Akt. Dann drei volle Seiten, die wollte sie später lesen, für sich, und nahm sie auf ihren Stick und steckte ihn in die Tasche, kein Akt der Vernunft, eher der Magie; klar und vernünftig dagegen die Antwort an Marion: Ich gebe, damit du gibst, in der Liebe haut das nicht hin, Vila! Sie schloss ihr Gerät und sah in die Gegend, eine Schläfe an der kühlenden Scheibe. Ganze Felder, ganze Hänge noch vom Sommer verbrannt; später kahles Gebirge, ödes Land, kaum ein Ort, nur einmal eine Stadt, Lauria, nie gehört. Der erste Name, den sie kannte: Eboli, Teil eines alten Filmtitels. Machen wir Pause? Renz sah nach hinten. Oder fährst du? Sonst halte ich bei der nächsten Tankstelle.
    Wie du willst – ihr Satz vor Bootsfahrten auf seine Frage Wohin?, auch noch vor der letzten Fahrt im Jahr, obwohl sie immer gleich verläuft, mit einem Ankern vor der Insel, dort oft allein im September, allein in der Schläfrigkeit des Nachmittags. Renz räumt die Kabine auf, schon für den nächsten Sommer, in einem Seitenfach noch Katrins alte Badesachen, ihr Bikini, Flossen, die Tauchbrille, er lässt alles so, sein kleiner Altar. Das Boot schwankt, und sie springt in den See, ihr Körper leuchtet beim Schwimmen, sie hat es auf einem Video gesehen, die Beine gehen auf und zu, immer

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