Liebe in groben Zügen
wieder ihr Schoß, seine Aue: ein frühes Renzwort, schon lang außer Gebrauch, aber sicher noch in ihm. Und irgendwann vielleicht das Letzte, das er vor Augen hat, als Wort und Bild in einem, während die Augen schon nichts mehr sehen. Nach seinen ersten Affären hatte es aufgehört mit diesem Spruch in ihr Ohr, Du bist meine Aue. Er passt auch nur zu jungen verliebten Paaren und nicht zu zwei Menschen mit Umgangsliebe, oder was das bei ihnen war. Irgendwo müssen wir dann auch übernachten, sagte Renz beim Einbiegen in einen Pavesi-Autogrill mit Restaurant und Mall quer über alle Fahrbahnen. Er hielt bei den Tanksäulen, und sie lief schon in das Reich über der Autobahn mit Bars und Shoppingzeilen, Internetcorner, Pornoecke und sogar kleinen Piazzas für ganze Sippen, die hier Pause machten, entspannten, während sie im Officebereich ihre Nerven zusammennahm und die Mail ausdruckte: drei Blätter, und auch am Ende kein Wort an sie, das letzte Wort hieß Sterben , und das Ganze vom heutigen Tag. Sie war noch im Schlaf, da hatte er es abgeschickt von sonst wo, und sie rang mit sich, ob sie es überfliegen sollte oder noch aufbewahren, und konnte dann nicht anders, als auf der Stelle zu antworten, dass sie seine Seiten in der Hand halte, ausgedruckt in einem Autogrill bei Eboli auf ihrer Rückfahrt zum See, seinetwegen, weil die Polizei in Torri Fragen habe zu dem, was in Campo passiert sei. Mein Gott, wo bist du, was ist da passiert? Sie sah Renz und drückte auf Senden, das war getan; Renz kam aus dem Unterhaltungsbereich, eine CD in der Hand, Wir sollten noch etwas essen! Er schob sie an eine der Bars, für zwei warme Panini mit Schinken.
Und im Wagen dann die gekaufte CD, der Sänger Toto, ein melancholischer alter Herr, Lieder aus Neapel, eins davon Femmena; Renz hörte es zweimal, dreimal, er summte mit, es hielt ihn wach auf der Strecke nach Rom, bei ihr dagegen das Wort Sterben der Wachmacher. Es gab kein alarmierenderes Wort, frei von aller Zeitverschwendung – wer stirbt, hat keine Zeit mehr, nicht einmal für ein Prüfen des Todes, wie man das Wasser eines Sees mit dem Fuß prüft, bevor man hineingeht. Eingeschlossen ins Sterben, treibt man nur weg vom Leben und auf nichts zu, nichts, mit dem sich reden ließe und das noch ein Spiegel wäre, um sich zu sehen. Ich sehe weder dich noch mich je wieder: ich sterbe. Sie saß jetzt vorn, im Schoß den Ausdruck, locker gerollt. Was ist das, fragte Renz, als es längst dunkel war, nur nicht auf dem Ring um Rom, und sie sagte, die Franz-und-Klara-Geschichte, als wären es die Seiten, die sie vorgelesen hatte. Es fing an zu regnen, ein stures Fahren, bis sie endlich die Autobahn Richtung Orvieto erreichten. Renz hörte wieder die CD, er sang jetzt sogar leise mit, ein älterer Mann in seinem zu großen Wagen, nur mit den Zeichen der Melancholie, nicht wirklich melancholisch, neben ihm seine Frau mit einer ungelesenen Mail. Der Regen nahm zu, ein Prasseln gegen die Frontscheibe, und bei den Sabiner Bergen plötzlich eine endlose Kette von Rücklichtern, hoffnungslos. Renz tippte an die Blätter in ihrer Hand: Und das ist die nächste Folge aus dem Jahr zwölfhundertnochwas? Er stellte den Scheibenwischer auf schnell, und sie rollte die Blätter enger und sah durch die Rolle wie durch ein Fernrohr auf die Lichter vor ihnen. Warum fahren wir nicht ins Land? Sie schwenkte das Papierrohr und sah auf das Lippenpaar, das sie in der Nacht zum Jahr vierundachtzig, voriges Jahrhundert, aus einem Seehundschnurrbart befreit hatte, um es zu küssen, der erste von unzähligen Küssen. Ich muss in ein Bett, sagte Renz auf einmal, ich werde krank. Jetzt kommt bald die Ausfahrt Spoleto, wollen wir nach Spoleto? Er strich sich das Haar zurück, als sei es noch dicht, eine Mähne, und behielt die Faust darin, dort, wo die Kopfhaut schimmerte, und sie griff an seine Stirn, an seine Wange, beides heiß, er hatte Fieber. Spoleto, sagte sie, waren wir da nicht schon? Ich erinnere mich an einen Streit vor dem Dom, ob wir ihn anschauen sollen oder nicht. Oder gibt es da keinen Dom? Sie machte das Handschuhfach auf und nahm ein altes Italienisch-Übungsbuch heraus, das dort immer deponiert war. Und nach Spoleto kommt dann bald Assisi, ja?
Es ist nicht mehr weit, sagte Renz. Lies mir etwas vor.
Auf Italienisch, seit wann interessiert dich das? Sie schlug das Buch auf und sprach einen der Sätze für Fortgeschrittene, Dai Lorenzo, non fare quella faccia, mi piaci anche così, ihre Art
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