Liebe in groben Zügen
von Gesang, und Renz versuchte, es zu übersetzen, Geh, Lorenzo, tu nicht, mach nicht, oder wie? Er scherte aus der Kolonne und nahm die Ausfahrt Spoleto, ein Wechsel auf eine Schnellstraße, zu beiden Seiten jetzt flaches dunkles Land; der Regen hatte aufgehört. Es heißt: Mach nicht solche Sachen, mir gefällst du auch so, sagte sie. Eine kleine Liebeserklärung. Du hast Fieber, soll ich fahren? Sie strich mit den Blättern über die eine Hand am Steuer, Renz sah sie an. Wo hast du die ausgedruckt, in dem Pavesi? Er ließ sein Fenster ein Stück herunter, und sie nickte nur und sah wieder durch die Papierröhre, mal nach draußen, auf einzelne Gehöfte mit schwachem Licht, mal auf ihren Daumennagel. Erst ab Spoleto fuhr Renz mit zwei Händen, während sie die gerollten Blätter glattstrich, das Italienischbuch als Unterlage. Und beim ersten Assisi-Schild strömte ihr Blut in die Wangen, als sei sein Fieber, seine Krankheit, schon auf sie übergesprungen – Alte Paare sind ein gefährdetes Völkchen für sich, hatte ihr Katrin einmal erklärt. Keine Stunde, und wir sind da, sagte Renz. Liest du noch etwas vor? Mach dir das Maplight an.
Franz und Klara, der letzte Akt. Die Hütte aus Eichenzweigen, Blättern und Erde im Topino-Tal, wo es selbst in Sommernächten abkühlt, eine Luft so frisch wie der nahe Bach. Franz hört das Laub rascheln, das ihn bedeckt, aber es sind keine Mäuse, es sind seine Beine. Er friert, eine Kälte bis in die Zehen, allein die faltige Stirn glüht. Chiara? Ganz am Anfang hat er sie so genannt, dann nur noch Schwester, Sorella altissima, und jetzt, am Ende, wieder ihr Name. Ich bin hier, antwortet sie, was kann ich tun? Sie deckt noch mehr Laub auf ihn in der Dunkelheit, ein einziges Tasten, wo endet ihr Leib, wo fängt seiner an? Und Franz sagt, still sein könne sie, still für ihn beten. Beten? Klara zieht die kühle Luft ein, ihre Zahnstümpfe schmerzen. Man kann nicht ewig beten. Und es ist auch nicht die Nacht zum Stillsein, es ist die Nacht zum Reden, wenn einer den anderen bald verläßt. Die eine Stunde zwischen meinem lieben Bruder und mir, an dem Nachmittag am Mincio unter dem Eselskarren, wie lang ist das her? Sie spürt jetzt das Zittern der Beine und hört ein Rascheln, als sei er selbst schon trockenes Laub. Wovon spricht meine Schwester? Sagte ich nicht, wir beide seien ein Kästlein, das besser zubleibt? Franz will sich aufrichten, aber Klara drückt ihn nieder. Erinnere dich! Sie will ihm befehlen, also stellt er sich tot, atmet nicht mehr, ein Spiel mit ihr, bis sie im Dunkeln nach ihm schlägt, wie sie nach einer der neuen Schwestern geschlagen hat, als ihr ein Topf heruntergefallen war, die Hand streift nur sein Ohr. Es war, wie ich es sage: Stunden am Fluß, gottverlassen. War es so? Ihre Stimme ist leise, scharf, Franz reibt sich das Ohr. Wir sind nicht Herr unserer Erinnerung, flüstert er. Die meine geht gerade nach Rom, zur Witwe des Graziano Frangipani, der jungen Jacoba, die singen kann, wie eine Zither spielt, und jetzt ist genug geredet! Er stemmt sich auf, sein Atmen ist schnell, kurze Stöße aus der Brust, und Klara weiß, daß er weint, Salz in die Wunden läuft. Sie streicht über sein Wolfshaar, wie sie es nennt, und die Fieberstirn. Einer kann nur wahr erzählen, sagt sie, wenn er zugleich die verlorene Aufrichtigkeit beweint. War es die Jacoba oder war es Rom, was dich trotz müder Beine noch im letzten Jahr nach Rom hat ziehen lassen? Sie nimmt sich die Haube vom Kopf und taucht ein Stück davon in einen Napf mit Wasser neben dem Lager, sie kühlt Franz die Stirn. Meine Schwester, sagt er, sie hat mich besiegt. Wahr ist, die Witwe Jacoba war gut zu mir, wie einst Pica, meine Mutter, nach der Kerkerzeit in Perugia. Und wahr ist, man bleibt ein Kind, auch wenn das Blut in einem drängt. Und bevor ich sterbe, will ich noch die sehen, die ich so liebgewonnen habe wie die, die bei mir sitzt. Meine carissima Jacoba soll aschegraues Tuch, viele Kerzen, ein Linnen und ein kleines Kopfkissen mitbringen. Und die Honigspeise, die sie für mich in Rom bereitet hat, damit sie mir auf der Zunge zergeht, wenn alles schwindet. Wo ist deine Hand? Franz tastet ins Dunkle, an ihren kahlen Schädel, Warum sagt die andere meiner zwei Schwestern nichts? Er fällt auf sein Lager zurück, und Klara antwortet, wenn einer wahr spreche, soll der andere still sein. Dann sei nur weiter still, sagt Franz. Und gib mir Wasser auf die Lippen. Du hast früh dein Haar gelassen, und
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