Liebe in groben Zügen
das Haar verklebt, und auf ihr Achselzucken hin seine Hand, klammernd. Schlaf jetzt, sagte sie, oder was willst du: dass ich über ihn rede? Ich weiß nicht, wo er ist, er ist verschwunden. Auch wenn das mit dem Schuss sicher ein Unfall war, oder warum hat er sonst die Waffe zurückgelassen? Damit die Polizei das merkt. Wird dir schon warm? Sie setzte sich zu ihm und hielt seine Hand – in Renz’ nassem Gesicht ein Zug von Katrin, wenn sie als Kind, selten genug, krank im Bett lag, ganz einer Fürsorge und Übermacht ergeben, die sie sonst ablehnte, ich lege mich in deine Hände, mach, dass ich gesund werde. Sie strich Renz das Haar aus der Stirn. In ihm schien etwas zu sterben, und er wehrte sich mit dem Fieber dagegen, vielleicht der Glauben, dass es immer so weiterginge mit ihnen beiden, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Lange Ehen sind geliebte Irrtümer. Aber unser kleines Leben – ein Gedanke wie von Renz’ Stirn über ihre Hand in sie eingedrungen – löst sich auf, wenn wir jeden seiner Irrtümer, seiner Knoten kennen, das zuviele Wissen lockert die Knoten, einen nach dem anderen, endlich Luft, denkt man, und in Wahrheit ist es der freie Fall. Du musst im Moment nicht über ihn reden, sagte Renz. Aber bring mir etwas zu trinken.
Und sie lief ins Bad und füllte einen Zahnputzbecher mit Wasser und brachte ihn ans Bett, sie stützte Renz den Kopf; er glühte jetzt, sie gab ihm zu trinken. Du kannst morgen nicht fahren, sagte sie, wir bleiben noch einen Tag, ich schaue vor dem Frühstück nach einem Hotel. Und nun schlaf! Sie stellte das Glas ab, löschte die Lichter im Zimmer und ging neben ihn unter die Decke, seine Hand suchte ihre Brüste, eine Art sachtes Anklopfen, also machte sie ihm auf, sie zog ihr Oberteil hoch. Du musst den Wagen morgen um alle Ecken zum Parkplatz fahren, sagte er. Mit etwas Glück bekommt er dann endlich eine Beule, und ich bin geheilt davon! Er streichelte ihre kleinere, rechte Brust, und sie umarmte seinen nassen Kopf, darin irgendwo die Fähigkeit, mit sich im Widerspruch zu leben, etwas, das sie liebte an ihm. Und dann rutschte er an ihr ab, sein Atem wurde flacher, wie der von Kasper, wenn er auf dem Rücken gedöst hatte, die Pfoten entspannt – so verschwindend flach, dass sie ihm noch eine Hand auf die Rippen legte, um seinen alten Herzschlag zu spüren.
Beide schliefen sie bis in den Vormittag, erst geweckt vom Telefon am Bett: Das Zimmer musste geräumt werden, für Renz eine Tortur. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, an Weiterfahrt gar nicht zu denken, und Vila schickte eine Nachricht an Katrin, die Lage in wenigen Worten; danach Telefonate mit einem Dutzend Hotels, zuletzt ihrem alten Francesco, ganz sicher, dass die Antwort wie überall wäre, fully booked, aber genau dort gab es ein Zimmer nach Stornierung, sogar für eine Woche, falls gewünscht. One night only, sagte sie in der Sprache, die nicht zu ihr passte, und Renz stand nur dabei, zähneklappernd. Sie musste für ihn packen und die Tasche tragen, sie fuhr auch den Wagen aus der Garage und lenkte ihn, in einer Schleife durch die Einbahngassen, bis vor das Francesco, wo sie nur zum Ausladen halten durfte, wie zuletzt mit Bühl; sie brachte Renz auf das Zimmer, klein, aber mit Blick über Nachbardächer bis in die Ebene, an den Wänden wieder die Giotto-Drucke, sie half ihm beim Ausziehen, sie deckte ihn zu. Und ihre Schlussaufgabe: den Wagen zu dem höher gelegenen Parkplatz bringen, ohne Beule, nicht um Renz oder die Karosserie zu schonen, sondern sich.
Sie fuhr nur Schritttempo, erneut eine Schleife durch die Einbahngassen von Unter- und Oberstadt, und sie genoss es, allein zu fahren, allein ein Ziel anzusteuern, auch wenn es nur ein Parkplatz war, das Ganze mit Musik, ihrem alten Celentano mit einem neueren Lied, seine Stimme immer unwiderstehlicher, ein Lied über die politische Situation, non è buona, über das Klima und die Lage der Meere und überhaupt der Welt, non è buona, aber im Grunde nur über die eigene Lage, non è buona. Und auf dem Parkplatz sogar eine gute Lücke, bei einem Café unter Platanen, und alle an den Tischen schauten, wer den schwarzen Jaguar rückwärts in die Lücke fuhr. Sie stieg aus und verriegelte die Türen im Weggehen, das Geräusch in ihrem Rücken wie ein Lob für die Fahrt ohne Beule, gut gemacht, Vila. Und bei ihrem Gang zwischen den Tischen hindurch zu einem Fußweg über ewige Treppen hinunter in die Stadt war sie auf einmal ganz im Reinen mit sich, eine
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