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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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selbst wenn er ihre Sorge teilte, schob er sich noch davor. Warum lassen wir nicht die Worte Worte sein, sagte er und nahm sie in den Arm, ohne Absicht oder nur in der Absicht, genau das zu tun: friedlich die Arme um sie zu legen. Und sie hielt still, aber war nicht still. Ich werde umarmt: ein Bild aus drei Worten, als sei sie ihre eigene Zeugin, die Zeugin von etwas schrecklich Schönem, wie manchmal noch nachts auf dem See, wenn Renz im Boot den Arm um sie legt, oder lange davor, bei den letzten Malen, als ihr Vater sie in den Arm nahm, ein Mädchen von zwölf, das sein Rasierwasser roch, seine ganze nahe Fremdheit, weil er nur selten kam und dann gar nicht mehr, sie allein blieb mit der Mutter in Hannover, allein mit einer Zahnärztin, die geliebt werden wollte. Vila hielt sogar den Atem an, um auch das Mädchen in sich anzuhalten, ihre kindliche Freude. Die Worte Worte sein lassen, gar nichts mehr sagen, auch das war Gegenteil von Renz, und sie holte Luft, als hätte sie die ganze Zeit geredet, und Bühl nahm die Arme weg, vorsichtig, wie man ein Pflaster von einer Wunde zieht, und ging dann ein Stück vor ihr her, den Kopf halb gewendet; sie überquerten wieder den Platz, auf dem noch immer gekickt wurde, und liefen unter den dunklen Arkaden zum Hotel.
    Bühl hielt ihr die Tür, er ließ sie vorbeigehen, schloss aber gleich zu ihr auf, und als Paar gingen sie durch die Kathedralenhalle mit ihren schwarzen Geheimdienstlern und traurigen Musikanten bis zum Treppenhaus hinter den Liften, als hätten sie es abgesprochen: nach oben zu laufen und nicht zu fahren. Erst im fünften Stock blieben sie stehen, Bühl mit ruhigem Atem, während sie kaum einen Abschied herausbrachte nach all den Stufen. Sie sagte nur ein Wort, Schlaf, und ging rückwärts, bis er verschwunden war, dann lief sie in ihre Etage, vorbei an einer Palme im Topf, die am Morgen noch etwas Bedauernswertes hatte, einsam und sinnlos im langen Flur. Jetzt stand sie da, und es mangelte ihr an nichts.
    AM nächsten Tag fand Bühl – er hatte bis zum Nachmittag geschlafen – einen unter der Zimmertür hindurchgeschobenen Zettel, darauf die Bitte, am frühen Abend in der Halle zu sein, Vila. Ihr Namenszug, ein Grund, sich die Bartstoppeln noch weiter zu kürzen, Feinarbeit in dem Bad ohne Vorhang und Fensterläden; auf dem Balkon gegenüber die ganze schwarze Familie bei Bier und Musik, die Frauen mit Lockenwicklern. Sie winkten ihm zu, und er winkte zurück, eine Bilderbuchstunde. Und mit hellen Wangen, hellem Kinn trat er bei Anbruch der Dämmerung auf Vila zu, Vila schon vor dem Hotel im T-Shirt, um die Schulter eine Rucksacktasche. Sie drückte ihm eine Faust an die Brust, sachte wie ihr Anstoßen vor dem Trinken, und er nahm ihr die Tasche ab, sie liefen zum Café Francesa, wo Spiegelhalter schon im Eingang bereitstand, im Mund seine gestrige Monte Christo, jetzt auch schon mehr Trümmer als Zigarre. Wir gehen zu Fuß, sagte er.
    Ein von Lärm begleiteter Weg durch die nahe Calle Neptuno, in den Fünfzigern, zur großen Mafiazeit, Schlagader von Havanna, überall noch die Leuchtschriften unter Schichten von Staub und Kot. Spiegelhalter ging voran, mit dem Zigarrenstummel seinen Kommentar dirigierend, dazu jede Musik aus jedem Auto oder einer der unzähligen Fahrradrikschas mit Boxen im Fahrgastgehäuse. Hinter einer großen Querstraße, der Avenida Italia, beruhigte sich der Verkehr, und ein paar Häuserblocks weiter bog der Dirigent rechts ab, in eine schottrige Schneise ohne Autos, stattdessen schlafende Hunde, wie erschlagen, und alte schwarze Frauen vor ihren Türen, rauchend auf einem Schemel, einer Kiste, im krausen Haar ein bunter Kamm. Das Viertel der kleinen Leute, verkündete Spiegelhalter, als hätte er die kleinen Leute erfunden. Die Straßen heißen hier Beharrlichkeit und Bitternis, Unverbrüchliche Treue oder Sehnsucht. Und was fällt an den Häusern auf? Er machte eine Geste zu den Dächern: nirgends eine Satellitenschüssel, die sind verboten. Die Leute leben hier im Informationsparadies, sie erfahren nur das für sie Nötige, aber der wahre Effekt der Zensur ist ein ästhetischer! Und mit diesem Ausruf bog er in eine leicht abschüssige, von Schlaglöchern übersäte Straße, die als lange Gerade auf das Meer zulief; man hörte die Brandung und sah Gischt gegen den dunklen Himmel. Die Calle Gervasio – das Intakteste ihr Straßenschild – war unbeleuchtet, nur aus offenen Fenstern fiel manchmal Fernsehflimmern auf die Hunde oder

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