Liebe in groben Zügen
der alten Bergwerkshalde von Kappel; von den Molchen in den Wasserläufen zwischen den Wiesen, den Tricks, sie zu fangen, und dem Schrecken, sie austrocknen und sterben zu sehen. Und sie erzählten von Kartoffelfeuern im Herbst, ihrem beizig-süßen Geruch, und den ausgehöhlten Rübenmasken, ohne von amerikanischen Bräuchen gehört zu haben; vom langen Winter, wenn der Schnee alles stilllegte und es bei jedem Schritt knackte unter den Sohlen, bis ein Flammenmeer, die Hexenverbrennung, wie es zu Spiegelhalters Zeit noch erlaubt war zu sagen, den Winter austrieb – scheiden tut weh, aber dein Scheiden macht, dass mir das Herze lacht! Und so kamen sie auf die Fasnet, das höllische Treiben, das am Donnerstag ausbrach, am Schmutzig Dunschtig mit den Schweinsblasen, die man Kindern auf den Kopf schlug, damit sie ein Lied anstimmten, Borstig, borstig, borstig ist die Sau, und wenn die Sau nicht borstig wär, dann gäb sie keine Würste her! Und auf einmal sangen beide, Bühl halblaut, balancierend, Spiegelhalter ein Kapellmeister seiner selbst, und im Zuge dieses Stoßgesangs erhob er sich, wankend vom Rum, der Hauptmann stützte ihn, seine erste klare Tätigkeit. Vila aber legte Geld auf den Tisch, genug für allen Rum, und ihr Schleuser durch den Wirrwarr von Havanna nahm sich einen der Scheine, Fürs Taxi, vergeltsgott – morgen Aufbruch von hier, man erwartet uns zum Abendessen! Spiegelhalter gab dem Hauptmann ein Zeichen, und der griff nach den Krücken, ein Abgang auf drei Beinen. Gehen wir auch, sagte Vila, verwehtes Haar im Gesicht, dass nur noch ihr Mund hervorsah.
Mit einer unlogischen, einer weichen Logik nimmt man den anderen, den man kaum kennt, als Ganzes wahr, sobald der Blick auf ihn ein liebender Blick ist, als Ganzes und zugleich Leeres, noch nicht Gefülltes, das einem mit weicher Logik als vollkommen erscheint. Der andere wird so zum ganz anderen und hat nichts von dem, was man kennt – für Vila war Bühl, als sie mit ihm durch den nestartigen Park ging, plötzlich das Gegenteil von Renz. Renz erzählte von sich, wenn er von früher sprach, Bühl erzählte von früher. Und war gleichzeitig bei ihr; er kannte sie kaum, aber ging mit ihr nachts durch einen Park und teilte die Sorge um ihre Tochter. Wir werden sie finden, sagte er, für einen Moment seine Hand an ihrem Arm. Renz und sie kannten sich dagegen ein halbes Leben: eine ständige Fessel, obwohl er weit weg war. Ihnen beiden waren die Hände gebunden, so lange kannten sie einander. Ja, wir finden Katrin, bevor es zu spät ist, wollte sie erwidern, aber dann sagte sie nur seinen Namen und wusste nicht weiter: Bühl oder der Beginn eines langen Textes und sie vor Lampenfieber gleich steckengeblieben.
Eine unruhige Nacht, wirbelnde Blätter und Staub; wie auf der Suche nach etwas Verlorenem, Geld oder Ring, durchquerten sie den Park, längs des krummen Wegs schlummernde Hunde und Bänke mit Pärchen, eins so verklammert, dass Vila den Schritt anhielt, als drohe Gefahr, wo doch nur die Nachtvögel piepsten. Und ihr Begleiter (oder Bekannter aus Frankfurt) streckte eine Hand nach ihr, die konnte sie nehmen oder nicht, und Vila nahm sie, wie man ein Geschenk nimmt. Hand in Hand gingen sie weiter, und es war gut so, es schärfte den Sinn, stellte beide vor ein Problem, als der Park durchquert war: was nun mit den Händen. Und die Lösung lag sozusagen mit auf der Hand, einfach noch nicht zum Hotel gehen, sondern weiterziehen, es darauf ankommen lassen, was mit ihnen passiert. Unter dunklen Arkaden gingen sie um ein großes Gebäude, dahinter ein nackter Platz, nur zum Teil gepflastert; auf der übrigen Fläche schütteres Gras, ein paar Jungs kickten mit einer Plastikflasche, knappe Rufe, kurze Pässe, und der Wind mischte mit. Der Platz endete an einer abgerissenen Hausfront, man sah noch die Einteilung der Zimmer. Vila strich über die alten Wandfarben, irgendwann von irgendwem gewählt, um das Leben etwas freundlicher zu machen; ihre Schritte wurden immer kleiner, bis sie stehen blieb, Bühls Hand noch in ihrer oder umgekehrt. Sie bat ihn um ein Wort aus seiner Kindheitssprache, eins, das jetzt, in dem Moment passen würde. Komm, bitte, nur ein kleines Wort!
Vila ging auf die Fußspitzen, sie sah ihn an, mit seinen Geschichten, seiner Stimme, mit seiner Hand – an der sie kurz rüttelte, fast ein Betteln um das Wort – hatte er sich nicht nur vor Renz geschoben, er schob sich auch langsam vor Katrin, und nur wegen Katrin war sie hier;
Weitere Kostenlose Bücher