Liebe in groben Zügen
kannte sich aus, die renzsche Schule, aber sie wollte das alles gar nicht sehen: noch ein Hindernis zwischen ihr und Katrin –, Little Joe reparierte gerade den Viehzaun, als Hoss trotz Körperfülle heransprengte und Überfall auf die Ponderosa! rief, und schon saß der Bruder auf dem Pferd, während der Ex-Tänzer auf dem Thron vor Aufregung Nägel kaute. Sein schwarzer Dienerjunge nahm die Besucher für eine Erklärung beiseite – der Ruhetag war Bonanza-Tag für Reyes, mit zwölf Folgen in einem Kanal, auf dem nur alte US-Serien kamen; an normalen Arbeitsabenden dagegen sein Achten auf die Klingelgeräusche, angeblich konnte er jeden Stammgast heraushören. Nur den Neffen unseres berühmtesten Dichters hat er vorgestern für den Onkel gehalten, sagte der Diener in einer Mischung aus Englisch und Deutsch.
Der Typ war also hier: Vila, fast den Mund an Bühls Ohr, seine Hand noch in ihrer, flüsterte jetzt. Aber mit wem? Sie wandte sich an den Diener. Dieser Neffe, wer war bei ihm, a young woman from Germany? Vila zog Geld aus der Tasche, zehn Euro, sie wedelte damit vor dem Diener. Es waren zwei Frauen, sagte er und nahm das Geld. Eine hat nur fotografiert. Sie ging dann mit ihm nach einer Stunde wieder.
Katrin, sagte Vila. Katrin muss alles fotografieren, und das hier ist wie unbekannte Gebräuche für sie. Vorgestern war sie in diesem Haus, und ich hatte keine Ahnung!
Dann war sie vorgestern wohl noch schwanger: Bühl flüsterte jetzt auch, dicht neben Vila, beide standen hinter dem Thron, auf dem Reyes die Episode verfolgte, bis Ben Cartwright am Ende den Kamin entzündete, während der chinesische Koch in seiner Ecke schnarchte, dazu schon die Abspannmusik. What do you want, fragte Reyes halb nach hinten, und Vila reichte ihm ein Foto von Katrin: ob diese Frau vorgestern hier gewesen sei, mit einem namens Fernández, und wie man den erreiche. Der frühere Tänzer warf einen Blick auf das Foto und murmelte etwas Längeres, dann rief er einen Namen, Dodi. Er will uns helfen, wenn wir nach dem Essen eine Spende dalassen, übersetzte Spiegelhalter, als der österreichische Diener erschien, ein gealterter Wiener Sängerknabe im Kochdress; er nahm ein paar Anweisungen entgegen und verzog sich wieder, als schon die nächste Bonanza-Melodie ertönte und alle Löffelchen rund um das Bild zittern ließ und den Hausherrn unerreichbar machte.
Der junge Schwarze winkte die Besucher ins Freie, an eine steile, wie einem rostigen Dampfer entnommene Treppe zum Hausdach. Reyes macht sich Gedanken, die Spende dafür beträgt zwanzig Euro, sagte Spiegelhalter beim Hinaufsteigen hintereinander, so schmal war die Treppe; und Licht gab es erst auf dem Dach, von alten Verhörlampen mit schwarzem Blechschirm. Ihr Schein fiel auf die Wände der benachbarten Ruinen, darauf Bilder aus dem Leben des Ex-Tänzers, von der Geburt in einer Hütte über die Ausbildung in Moskau und Triumphen unter den Augen von Castro und Breschnew, endend mit dem Verlust eines Geliebten, der ihn bis zum Jahrtausendende begleitet hatte: ein karibischer Athlet mit den Augen eines Rehs, gestorben an Aids, und über seinem Bild auf der Hauswand groß die Worte Adios a la vulgaridad!
Übersetz uns das mal, sagte Vila, und Bühl verließ sich auf sein Latein. Ein Lebewohl dem Gewöhnlichen, adieu gemeine Lust, auf ein Wiedersehen im Fleisch, kommt das hin? Er tippte an Vilas Hand, sie saßen über Eck, er mit Blick auf das Wandbild. Und Vilas Antwort ein Nein, leicht gedehnt, also auch halb bejahend; sie wollte weitere Versuche, aber der Diener kam mit Neuigkeiten, die er Spiegelhalter ins Ohr sagte, und der gab sie weiter. Die eine Begleiterin von Belarmino Fernández, so heißt der Typ, die Frau, die hier fotografiert hat, der wurde zweimal übel. Und Belarminos berühmter Onkel war auch schon hier, nur nicht mit einer Frau. Reyes lässt ausrichten, dass er den Kontakt zu Pablo Armando Fernández herstellen könne, für eine Sonderspende von fünfzig Euro. Den alten Kerl interviewen hält er für eine gute Idee. Fernández sollte das Gefühl bekommen, vor dem Nobelpreis zu stehen, dann würde er den Neffen über die Klinge springen lassen. Als Kandidat für den Preis genießt er hier Immunität und muss höchstens Castros Bruder fürchten: dem imponieren nur Ehrungen, die er selbst vergibt oder empfangen hat. Wie Sie sehen, kommen jetzt wir weiter. Und bekommen auch noch ein Essen!
Dodi der Koch betrat mit einem großen Tablett das Dach, darauf drei Teller
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