Liebe in groben Zügen
unterschreiben, und du beziehst meine Vorlesungen, der Jahresbeitrag liegt bei nur zwanzig Euro, eine vernünftige Lösung, auch ethisch vertretbar. Was war dein liebstes Thema in dem Fach? Spiegelhalter duzte seinen Landsmann ohne Herablassung, wie einen Sohn, der gelegentlich geistig geprüft werden muss.
Das Wirken des heiligen Franz, sagte Bühl, in der Hand schon einen Geldschein, der ihm gleich zwischen den Fingern hervorgeholt wurde. Der selbsternannte Attaché in Sachen Kultur ließ sich eine Monte Christo bringen, biss eine Kerbe ins Mundstück und steckte sie mit dem Trümmer an. Fällt dir kein Besserer ein? Franz von Assisi war nicht einmal Märtyrer – was ich sogar von mir behaupten könnte. Du kennst das alte Zartenbacher Freibad? Da gab es diese Reckstange, wenn man aus den Kabinen kam, links auf der Wiese vor dem Bach, und eines Tages packten die Halbstarken in den Dreiecksbadehosen, aus denen immer ein Kamm stand, einen bebrillten Jungen und hängten ihn mit den Kniekehlen an der Stange auf und verlangten, dass er Gottvater, den Sohn und den Heiligen Geist, also die Dreifaltigkeit, an die ich geglaubt hatte, das dreifaltige Arschloch nennt, und das so laut, dass man es bis zum Sprungbrett hören sollte, und dabei bogen sie mir die Fersen an die Schenkel, bis ich es herausgeschrien habe, nur um einen Buchstaben erweitert, Die Dreifaltigkeit ist k ein Arschloch, aber meine Schergen liefen in ihren Dreieckshosen davon, während ich noch an der Stange hing, ein Achtjähriger, von einer Minute zur anderen entschlossen, sein Leben in den Dienst der Vernunft zu stellen, selbst unter Bedingungen wie hier in Havanna: ein Aufklärungskampf gegen die Halbstarken aus unserer Botschaft, die mich nur als Konkurrenz sehen, und die Gottlosen vom Geheimdienst, die unter Aufklärung das Anbringen von Wanzen in meinem Institut verstehen. Du kennst doch das alte Freibad, wenn man durch die Felder Richtung Unterried geht?
Bühl kannte das Bad, und wie er es kannte, er hatte das Schwimmen dort entdeckt, sein Ja war knapp und fiel mit einem Nein von Vila zusammen, Nein, deshalb sind wir nicht hier, rief sie, ich will zu meiner Tochter, sonst nichts! Sie pochte sich mit den Handballen an die Stirn, und Spiegelhalter schob ihr das Rumglas hin, Morgen kommen wir weiter, heute wird erzählt! Und schon sprang er von der Dreifaltigkeit zur reinen Idee Gottes und zu den Gottesbeweisen: welcher ihm am meisten einleuchte. Mein eigener, sagte Bühl. Dass ich ausgerechnet ich bin, hier und heute die Welt erlebe, statt in einem anderen Leib zu anderer Zeit, etwa als Franziskus, dafür gibt es keine irdische Erklärung. Und danach der anselmsche: Wenn über Gott hinaus nichts Höheres gedacht werden kann, dann muss es ihn auch geben, ein Beweis, verrissen von einem Mönch, worauf ihn Anselm immer nur samt dem Verriss abschreiben ließ, eine Größe, die meine Schüler aber als Schwäche sahen: Der Anselm hätte dem Mönch Geld bieten müssen, damit der Verriss verschwindet. Kritikpunkt war, dass sich allein aus einem Begriff, dem Begriff Gott, nichts über die entsprechende Realität sagen lasse, sonst wäre es ja auch auf andere Idealvorstellungen anwendbar, etwa auf die von der Insel der Seligen, die bekanntlich nicht existiert.
Das sieht die Führung hier ganz anders, sagte Spiegelhalter und machte einen weiteren Sprung, von der Insel der Seligen über Kuba zur Insel der Kindheit: die es wenigstens in der Erinnerung gebe. Du kennst wirklich das alte Zartenbacher Freibad? Er löschte die Monte Christo und schob sie als Reserve in die Brusttasche, während Bühl noch einmal ja sagte, jetzt aber langsamer, weicher, offen, und schon begannen sie, über ihr gemeinsames Tal zu sprechen, wo das Dorf mit der Reckstange im Freibad – längst demontiert für eine Badelandschaft – und das von Spiegelhalter samt den dazwischenliegenden Wiesen und Wäldern noch immer dieses Inselreich der Kindheit war. Sie sprachen von ihren alten Schulwegen, der spiegelhaltersche auf noch lehmiger Straße von einem abgelegenen Hof in das Dorf, vorbei an vier Kruzifixen am Feldrand, Bühls entlang des Rotbachs oder Ruschebachs, vorbei am Gasthof Sonne und einer Schmiede, in der noch letzte Pferde beschlagen wurden, heute Internetcafé. Sie sprachen von der unerschöpflichen oder lieben Sommerzeit aus dem Lied im Gesangbuch und vom Duft der Nivea-Creme im Freibad, vom Wogen der Ähren, wie man es vor Gewittern vom Giersberg aus sah, und der Einsamkeit in
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