Liebe in groben Zügen
eine der Fahrradrikschas, die ihren Weg vorbei an den Löchern suchten. Spiegelhalter ging auf ein über und über bemaltes Haus mit Dachgarten zu, ein Kleinparadies zwischen Ruinen, er zog an einem Glöckchen neben einer gut gesicherten Tür. Kurz darauf Schritte, als näherte sich eine Geisha, mal schlurfend, mal trippelnd, und durch ein Loch in der Tür mit kindlicher Stimme die schlichte Frage, was man wünsche, in einer Mischung aus Spanisch und Englisch, halb desear , halb desire , und Spiegelhalter antwortete mit seinem Namen, schon ging die Tür auf, dahinter ein kahlköpfiger gedrungener Mann im Trainingsanzug, barfuß, mit Ringen an jedem Zeh und Ringen an jedem Finger. Er ruckte mit dem Kopf, seine Erlaubnis zum Eintreten, dann verschwand er im Halbdunkel eines Gartens, während ein vor sich hin summender Junge die Tür zur Straße wieder schloss. Der mit den Ringen ist Reyes, sagte Spiegelhalter, der war hier die große Ballettnummer, jetzt vermietet er Zimmer. Der Junge ist einer von zwei Dienern, der, den mein Hauptmann kennt, heute leider verhindert, er muss sich um sein Invalidengeld kümmern. Der zweite Diener ist der Koch, ein Österreicher, noch so ein hübscher.
Und der summende Nichtkoch war dunkelhäutig, mädchenhaft, nur in knappen Shorts, mit einer Handbewegung lud er dazu ein, ihm zu folgen. Nach einigen Schritten durch einen engen Flur kamen sie in einen Raum ohne Beleuchtung, dafür mit einem leisen, wie von allen Seiten ausgesandten Klingeln, sobald man den Fuß aufsetzte. Der junge Schwarze machte Licht, Licht von einem zierlichen Lüster über einem frei in der Mitte des Raumes stehenden Eisenbett, und es fiel auf Aberhunderte von kleinen Kaffee- und Teeservice, Tässchen und Tellerchen, winzigsten Löffeln und Zuckerdosen, liliputanischen Kännchen und puppenstubenhaften Keksschalen oder Likörgläsern, die an allen vier Wänden hingen und sogar an der Decke, als ein einziges Gebilde aus Porzellanblüten, buchstäblich an seidenen Fäden, was schon bei geringster Erschütterung das feine, den ganzen Raum erfüllende Klingeln hervorrief – wer sich im Eisenbett zu ruckartig bewegte, wurde zum sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen. Das Innere dieses Hauses, das ist Havannas geheimes Herz – Spiegelhalter sprach jetzt hinter vorgehaltener Hand, als könnte ein lautes Reden alles schon zerbrechen lassen; er teilte einen Vorhang aus Tässchen an Schnüren, und dahinter ein weiterer Raum, größer als der erste, aber ebenso ausgestattet. Wie dichte Rankengewächse hingen hier die winzigen Service an Wänden und Decke, und das Bett stand wieder genau in der Mitte. Gerade breit genug für zwei, sagte Spiegelhalter, zwei, die sich lieben unter den Klingelgeräuschen, die sie damit erzeugen, als hätte die Begierde ihre ganz eigene, nur Paaren, die in die Calle Gervasio finden, zuteilwerdende Musik, wenn man es mit etwas Pathos beschreiben will.
Wo sind wir hier, was soll das alles? Vila, neben Bühl auf den Zehenspitzen, um sein Ohr zu erreichen, versuchte noch, das Ganze mit Katrin in Verbindung zu bringen. Komm, sag, dass wir hier richtig sind, was denkst du? Sie zog an seinem Arm, damit er ihr antworte, und dann wagte sie es, sich auf die Bettkante zu setzen, was gleich ein leises Konzert auslöste, das Aneinanderticken unzähliger Tassen und Löffelchen, und von dem Diener in Shorts – für Bühl eher eine knappe Turnhose – ein nachsichtiger Blick, dabei schon das Öffnen des nächsten Vorhangs aus Winzigem, das irgendwo, irgendwann einen Tisch geziert hatte, dahinter ein Bad, und Vila suchte zum ersten Mal Bühls Hand, als sie den schachtelkleinen Raum betraten, die Klosettschlüssel wie eine Insel im Gewirr der Zuckerdöschen und Unterteller. Fließendes Wasser gibt es auch nachts, sagte der Diener auf Deutsch, was für den Hauptmann als Lehrer sprach, dann ging es schon in den Nachbarraum, und der Grundriss erschloss sich. Die Räume mit Betten bildeten ein Karree um einen Zentralraum, in dessen Mitte sich, anstelle des Eisenbetts, ein Thron erhob, wie man ihn aus Opern kennt, einer mit Löwenkopffüßen und scharlachrotem Polster, auf dem der Hausherr und einstige Tänzer in seinem Trainingsanzug saß. Tommy Reyes, die Füße mit den beringten Zehen auf einem Samtkissen, die Hände mit den beringten Fingern unter dem Kinn, sah sich in einem bis auf das schwarzweiße Bild von Löffeln und Mokkatässchen behängten Fernseher eine alte Bonanza-Folge an.
Little Joe – Vila
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