Liebe in groben Zügen
kubanischen Spanisch hatte.
Keine Politik in Kuba ohne einen Schuss Poesie: Karl Spiegelhalters Kommentar am Abend im Café Francesa, wo die Castro-Rede immer noch oder schon wieder in einem großen, unter dem Vordach aufgestellten Fernseher lief. Der Leiter des Instituto Fichte stand dort wie eine weitere der bröckligen Säulen des Dachs, nur kleiner und in abgewetztem Anzug statt verblichener Farbe, einen Trümmer von Zigarre im Mund, passend zu einer Brille mit fehlendem Bügel. Er zeigte auf einen Tisch voller Papiere, beschwert von Bierflaschen gegen den salzigen Meerwind, Setzen wir uns! Und kaum saßen seine Auftraggeberin und ihr Begleiter – Vila über den Mann an ihrer Seite: ein Bekannter aus Frankfurt, Lehrer für Latein und Ethik –, rief Spiegelhalter den Dienstgrad Hauptmann ins Innere des Cafés, Hauptmann, komm mal her! Seine Stimme war verwaschen, teils von Dialekt, teils von dem Zigarrentrümmer im Mund; er nahm ihn nur heraus, um ihn als stummligen Zeigestock zu benutzen: für den gerufenen Hauptmann, der mit einem Bein und zwei wenig romantischen Standardholzkrücken an den Tisch kam, den Stumpf in einer abgeschnittenen Khakihose, ein Kraftpaket mit dunklem Bürstenhaar und Flaum auf den Wangen, als sei er noch keine zwanzig; nur seine Augen hatten etwas Besiegtes, wie bei Fußballern, wenn sie vorzeitig aufhören müssen. Mein Assistent, erklärte der Leiter des Instituto Fichte, Hauptmann Kampe, nebenbei auch Lehrer. Er bringt hier Straßenmädchen das Deutsch bei, das sie für ihre Arbeit gebrauchen können, ansonsten sorgt er mit seiner Erfahrung für die Sicherheit meiner Klienten. Das fehlende Bein hindert ihn nur an Wettrennen und Kniebeugen, und eine Prothese lehnt er aus Prinzip ab. Er denkt radikal, das verbindet uns – sag’s!
Und der Hauptmann murmelte ein Ja und gab der Klientin und ihrem Bekannten die Hand, dann entfernte er sich Richtung Straße in einer Art Krückenlaufschritt, wie eine Demonstration seiner guten Verfassung, während Spiegelhalter, in Rauchwolken gehüllt, schon weitersprach, auf sein Institut und dessen Ziele kam: in Kuba deutsche Kultur zu vertreten, solange die in Berlin die amerikanische Dummheit mitmachten und es hier keine offizielle Einrichtung gebe. Er sprach jetzt breites Alemannisch, aber druckreif, ständig an dem vor Feuchtigkeit schon dunklen Trümmer saugend wie an einem Schnuller, wobei sich in den Mundwinkeln Schaumperlen sammelten, die er manchmal mit einsaugte. Und kommen Sie weiter, was meine Tochter betrifft, fragte Vila auf einmal. Haben Sie schon eine Spur, hat das überhaupt einen Sinn hier? Sie sah auf ihre Hände, die einander festhielten, als könnten sie sonst ausrutschen, und Spiegelhalter nahm die einbüglige Brille ab; er winkte damit einen schläfrigen Kellner heran und bestellte Rum für alle. Die Spur zu einer Spur, sagte er. Der Hauptmann unterrichtet auch hübsche Jungs, und einer arbeitet für den früheren Ballettkönig von Havanna, Tommy Reyes. Und der betreibt in der Calle Gervasio ein diskretes Haus für Liebespaare. Der lebenslustige Fernández-Neffe verkehrt dort, und wir gehen morgen Abend hin. Das Haus hat morgen Ruhetag, und Reyes empfängt uns.
Der Kellner brachte den Rum, drei volle Gläser, Spiegelhalter tunkte das Trümmermundstück in seins, Trinken wir, sagte er, und Vila stieß ihr Glas sachte an Bühls, eine Bewegung, die sie noch hätte aufhalten können. Sie saß neben ihm, mit etwas Luft, bis der Hauptmann von der Straße zurückkam, sich mit an den Tisch setzte; er machte seinem Chef beruhigende Zeichen, und der trank den Rum in einem Zug, dann wandte er sich an Bühl – Ethik, das heißt etwas Volksphilosophie? Eine Bemerkung mit halbem Lächeln über die ganzen zerknitterten Wangen und von der Farbe seines klebstoffgelben, wohl ursprünglichen weißen Hemdes; der Leiter des Instituto Fichte trug sogar eine Krawatte, bräunlich wie der Rum und seine Schuhe, aus denen hellrot die Knöchel sahen. Nur, wenn man nach Lehrplan geht, wenn man stur ist, sagte Bühl, das noch volle Glas am Mund. Er wiederholte die letzten vier Worte im Ton seiner Kindheit und nannte das Dorf, aus dem er kam. Und Sie? Auch aus der Ecke?
Unterried – Spiegelhalter steckte sich den Trümmer neu an, er blies den Rauch Richtung Straße, wo jetzt ein paar Knappgekleidete auf und ab gingen, Plateauschuhe, Shorts und Tank Top, und zog dabei ein Papier aus dem Anzug und reichte es dem Mann, der aus seiner Ecke kam. Hier
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