Liebe in groben Zügen
fühlen. Nur hätten die deutschen Kollegen – my very personal impression – alle Geld, ruhmlose Leute mit Geld, während er kaum in der Lage sei, das Haus zu halten. Putzfrau, Gärtner, Köchin, Security, viermal zwanzig Dollar im Monat, der dreifache Lohn eines Arztes! Fernández machte eine Pause, die Pause des Bittstellers, der seine Bitte nicht aussprechen will, und Vila holte ihr Geld aus der Tasche. Sie zählte unter den Augen der Tochter großzügig siebzig Euro ab, und kaum war das Geld im Batteriefach des Funkgeräts verschwunden, fragte sie, wie viel er mit dem Schreiben überhaupt verdiene – dafür interessiere sich vor allem ihr jüngeres Publikum –, und wenn es so wenig sei, was ihn dann hier halte. Vila wollte das näher ausführen, aber der Freund von Fidel Castro oder Fi dell , wie ihn Fernández betonte, fiel ihr ins Wort. Was, fragte er theatralisch, habe ihn wohl in Kuba gehalten, als andere – Cabrera Infante, Raúl Rivero, Jesús Díaz, um nur drei zu nennen – das Rampenlicht des Exils gesucht hätten? Verlorene Söhne, rief er, von Spiegelhalter wieder simultan übersetzt, und wir, ihre Väter, verteidigen die Stellung. Ich bin der Sänger der Revolution, ihr poetischer Commandante, ich kann nicht von Bord dieser Insel, auch ich bin ein Vater des Volkes. Und das alles, obwohl ich Italien bereist habe, erst im letzten Jahr. Ich habe das Schöne gesehen, aber das Notwendige gewählt.
Italien, wo waren Sie da? Vila wich von ihren Kärtchenfragen ab, und Fernández zeigte der Kamera sein Profil – Taormina, Ravello, Venedig, Gardone. Er sagte zu jedem Ort ein paar Worte, das Ganze aber nur ein Ausholen, um am Ende auf einen Artikel über sich in der Stampa zu kommen: drei Spalten mit großem Foto! Der alte Staatsdichter schlug sich auf die Schenkel, als hätte er die Stampa überlistet, und seine Interviewerin griff den Ort Gardone auf. Vila suchte jetzt das private Gespräch, also erwähnte sie ihr Haus schräg gegenüber von Gardone mit Blick auf den schönsten See Italiens, an klaren Tagen bis hinüber zum Reich seines toten Kollegen D’Annunzio, kein unriskantes Stichwort, aber ein Treffer. Fernández zitierte sofort eine Zeile des poeta ilusión , er erwähnte den eigenen Aufenthalt im Grand Hotel Gardone als Teilnehmer einer kubanischen Delegation: unvergesslich das Dinner im Garten mit Blick auf die Insel im See, einst Exil des großen Dante, zuvor auch Refugium des heiligen Franziskus, wie man ihm erzählt habe. Und die Zypressen auf der Insel im Abenddunst wie eine Fieberkurve! Er sprach jetzt direkt in die Kamera und grüßte das italienische Volk, er zitierte Catull und pries die Augustnächte von Gardone, über dem weiten See ein rötlicher Mond, langsam wandernd. Zeit, rief er, Zeit ist alles! Ein Interview mit ihm müsse eine ganze Nacht dauern, nur so würden die Zuschauer ihm folgen können, der Wanderung seiner Gedanken. Wie viel Sendezeit ihm zur Verfügung stehe, fragte er, als aus dem Funkgerät ein Knarren kam. Die Tochter nahm das Gerät ans Ohr, irgendwer rief Worte im Befehlston, während ihr Vater schon aufstand. Das Leben hat uns zusammengeführt, das Leben trennt uns wieder, sagte er in seinem amerikanischen Englisch, und die Tochter sagte etwas von fehlender Drehgenehmigung und aufgetauchter Geheimpolizei. Der mit dem einen Bein, der warte schon mit dem Wagen am Hintereingang. We can’t do anything, erklärte sie ohne eine Spur von Bedauern, und Vila wandte sich noch einmal an Pablo Armando Fernández.
Why don’t you just call your friend Castro?
Why don’t you just go, erwiderte der Dichter.
Nichts wie weg hier, sagte Spiegelhalter und trank noch schnell sein Glas Chianti classico aus.
UND wohin jetzt? Der Afghanistan-Veteran reagierte gereizt auf die neue Lage, er beschleunigte bei jeder Mülltonne, wie er es im Krieg gelernt hatte, und wurde langsamer, wenn ein Polizeiposten auftauchte, eine Fahrt durch stille Straßen, keine Menschen, keine Hunde, nur manchmal eine privilegierte Katze. Vila beugte sich zwischen die Vordersitze, Wofür bezahle ich hier? Für dieses Treffen mit einem, der uns hinauswirft, bevor ich etwas über meine Tochter erfahre? Bringen Sie mich zu ihr! Sie rüttelte an Spiegelhalters Schulter, sie boxte den Fahrer, fast hätte sie ins Lenkrad gegriffen, Bühl zog sie auf den Sitz zurück, Fernández hat mit mir gesprochen, ich weiß, wo deine Tochter ist, sie ist nicht weit von hier in einem Hotel am Meer, dem Copacabana.
Kenn
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