Liebe in groben Zügen
ins Wasser sprang, und Kampe, der Afghanistan-Veteran, stieß einen Fluch aus, die Arme als Deckung vor dem Gesicht, das Ganze eine Sache von Sekundenbruchteilen; die wenigen Gäste sahen nur kurz auf, Vila bemerkte gar nichts davon. Sie hatte Renz am anderen Ende, angeblich machte er seiner Begleiterin gerade Tee. Die huste schon seit Tagen, eine fiebrige Erkältung, und er müsse sich auch sonst um alles kümmern im Haus – unser Mieter lässt nichts von sich hören, sagte er, und Vila rief, das tue ihr aber leid, eine kranke Producerin und der Mieter verschollen, da gebe es Schlimmeres. Und damit wurde sie leiser, ein leises Mitteilen des Nötigsten, von Renz stumm aufgenommen. Katrin erholt sich in einem Hotel, sagte sie noch. Ich gehe jetzt zu ihr, und du bist also Krankenpfleger? Vila drehte sich zu Bühl und legte ihm eine Hand auf die Wange, Tränen in den Augen, dahinter ein Strahlen, verzweifelt glücklich, glücklich verzweifelt; Renz’ Stimme drang aus dem smarten Telefon, er schien nicht weiterzuwissen, aber gab sich entschlossen, entschlossen zur Reue, sein altes Konzept. Ich sollte verdammt noch mal bei dir sein, rief er. Und nicht hier herumsitzen. Wie geht es dir? Man hörte ein fernes Klirren, als sei die Teetasse heruntergefallen. Wie es mir geht? Ich bin jetzt wieder weit von einer Großmutter entfernt, wieder die Frau in den besten Jahren, könnte man sagen. Und vergiss nicht, den Wasserkocher auszumachen, er schaltet sich nicht mehr ab von selbst. Und in der Cantina steht auch eine Büchse mit Pfefferminztee, eine Handvoll Blätter auf einen Becher, lass es fünf Minuten ziehen und gib zwei Löffel Honig hinein. Für deine Kranke! Sie unterbrach die Verbindung, sie stellte das Telefon ab. Irgendetwas in ihr, das sie nicht kannte, eine Art innerer Erzengel der Worte, hatte sie über sich selbst hinausschießen lassen, und sie war noch nicht wieder auf sicherem Boden, alles wankte, nur ihr Kameramann nicht. Der sah sie an, wie Renz in der Nacht zum Jahr vierundachtzig, der Blick vor dem Kuss auf dem Grat zwischen vorher und nachher, dem Leben ohne sie und dem Leben mit ihr. Sie hatte immer noch die Hand an Bühls Wange, die nahm sie jetzt weg, und er zog sich aus vor ihr, das Hemd, die Schuhe, die Hose, ohne überflüssige Bewegung. Ich gehe schwimmen, danach bin ich für dich da, sagte er und lief schon zum Beckenrand, die Hände auf dem Kopf. Er wartete, bis der einzige Schwimmer in klebender Wäsche aus der Betonwanne stieg, dann sprang er gestreckt ins Wasser, und Vila sah ihn davonkraulen.
Der Kellner, auf den Spiegelhalter eingeredet hatte, kam zu ihr und bot seine Hilfe an, für zehn Euro, The person you look for is in our number one poetic room, called Pablo Neruda Suite. Sie steckte ihm zwanzig Euro zu, wenn er sie sofort dorthin bringe, und vom Kellner eine Kopfbewegung, sein Follow me, sie nahm die Kamera, und Spiegelhalter, in nasser Unterhose, gab ihr noch etwas mit auf den Weg. Belarmino Fernández sei hier der liebe Gott, darum besser keine Vorhaltungen, der werde ihretwegen kaum auf die Knie fallen oder auch nur ins Grübeln kommen – Gott grübelt nicht, er handelt, die Dinge sind nun einmal geschehen! Ein Appell an die Vernunft, nur nicht ihre, und sie legte die Kamera unter Bühls Kleidung und rief ihm Denk an die Sonne! zu. Der rote Sonnenball und das Meer, ihre Kurzfassung seiner Aufgabe, und die Antwort eine hochgeworfene Faust, jetzt konnte sie dem Kellner folgen. Vor einer Glastür, die ins Hotel führte, drehte sie sich noch einmal um. Bühl kraulte nicht mehr, er flog förmlich durch das lange, von ihm aufgewühlte Becken. Schmetterling hieß das, als sie schwimmen lernte, und immer wenn sein offener Mund und die ausgebreiteten Arme kurz auftauchten, war das wie ein Ja zu ihr, im Grunde die ganze und einzige Philosophie der Liebe.
DAS Meer war unruhig unter rotem Abendhimmel, ein funkelndes Auf und Ab hinter dem Anbranden gegen den Fels, auf dem der alte Teil des Hotels in verblasstem Rosa lag. Bühl filmte die Wolken über dem Horizont, darin die Sonne, wie zerfranst, ihr Untergang auf Kubanisch; er stand am Rand einer einstigen Terrasse, überall Reste von Lampen und Stühlen, dazwischen abgefallene Leuchtbuchstaben, ein C, ein N, ein Stück O. Von dem Wort Casino, sagte der Hauptmann außer Dienst oder junge Veteran und Securitymann – Bühl wusste nicht recht, wie er ihn einordnen sollte, einen Beinamputierten, der mit Krücken in Buchstabenscherben
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