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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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baumelnder Glühbirne. Er drückte die Tür zu, es gab weder Riegel noch Schlüssel, und ließ den Dingen freien Lauf, die Augen zugekniffen wie beim Zahnarzt, wenn der Bohrer pfeift. Erst als es getan war oder vorbei zu sein schien und sich auch die Spülung beruhigt hatte, blinzelte er, und genau vor seiner Nase, so nah, dass er den Kopf zurücknahm, die berühmteste aller Signaturen, der Namenszug, der sogar Autos zierte. An der Innenseite der Klotür hing ein Picasso aus der frühen, wild erotischen Phase, leicht zu erkennen, wenn man im eigenen Elternhaus mit Picassos Faunen und Ähnlichem in von Metallrahmen gezähmten Reproduktionen aufgewachsen war. Ein kleinformatiges Ölbild auf Holz hing da an einem Nagel, ein echter Trost durch Kunst, während seine Umwandlung in Flüssigkeit weiterging. Und er konnte nicht anders, als das Bild zu berühren, unter den Fingern Picassos Strich zu erfühlen, noch nach der Natur, und zuckte auch nicht zurück, als der Besitzer vor der Tür die Stimme erhob. Barcelona neunzehnhundertfünf, rief Fernández, künstlerischer Aufbruch in ein Leben aus Liebe und Wein, bienvenido a la vulgaridad, if you know what I mean!
    Yes, I do! Bühl, trotz allem noch geistesgegenwärtig, beugte sich zum leeren Schlüsselloch und erwähnte, wo ihm hier in Havanna dieses Wort, vulgaridad, schon begegnet sei, über einem Wandbild in der Calle Gervasio, auf dem Dach eines Hauses für nächtliche Zwecke. And somebody told me, your nephew was there.
    Belarmino! Fernández schlug gegen die Tür, halb empört, halb zärtlich, der Picasso schwankte am Nagel. Ein prächtiger Kerl, aber immer verliebt, im Moment in eine Deutsche, rief der berühmte Onkel, und Bühl hakte gleich nach – hätte nicht Castro auch einmal eine deutsche Geliebte gehabt, bezahlt von der CIA? Vorsicht vor deutschen Frauen, die würden sogar schwanger für ihre Ziele! Er wiederholte das Stichwort, er soufflierte es förmlich, und Fernández sprang darauf an. Eine Tragödie, sagte er, die Deutsche sei nämlich schwanger geworden, Belarmino habe ihn deshalb aufgesucht, eigentlich ein kinderlieber Mann, wie jeder Kubaner. Andererseits voll großer Pläne, zu große für eine Familie, also sei die Sache hier erledigt worden, beide erholten sich jetzt in einem Hotel am Meer – you need any help, Chris? Fernández klopfte an die Tür, Bühl versicherte, es sei alles in Ordnung, aber Erholung würde auch ihm guttun, Can you recommend this hotel? Und Fernández, arglos wie alle Verliebten, ob zwanzig- oder achtzigjährig, sagte, es sei das alte Copacabana, nicht weit von hier und empfehlenswert – der Moment, um wieder auf den Picasso zu kommen: warum der einsam im Klo hänge. Bühl nahm sich jetzt Zeit für das Bild, für die Details. Ein Jüngling mit dunklen Knopfaugen, der Künstler, wer sonst, halb entkleidet auf einem Lotterbett beim Masturbieren, mit dem Beistand zweier dirnenartiger Frauen. Bett und Wände in kräftigen Farben, und dann gab es noch eine Staffelei, darauf etwas Halbfertiges, das Porträt einer blühenden Frau, wie ein selbstgesetzter Anker, um den Lockungen der Faune im Bild nicht zu erliegen – kein Ferkel suhlte sich da, eher ein verirrter Heiliger, der Poverello als Künstler. Es hängt aus Sicherheitsgründen im Klo, niemand vermutet dort einen Picasso, erklärte Fernández, als Bühl schon die Spülkette zog, entschlossen, mit Vila erst zu reden, wenn seine Kameraarbeit getan war. Er wusch sich noch die Hände, dann drückte er die Tür auf, und der Staatsdichter empfing ihn mit erhobener Faust wie einen Sieger über korruptes Gedärm, und sie kehrten zu dem gerahmten Foto der drei alten Helden zurück.
    Die Stimmung im Wohnraum jetzt entspannt, von der Tochter sogar ein Lachen, sie lachte über Vilas Kärtchen mit Zitaten von Fernández und allen Fragen an ihn. So etwas habe man im Kopf oder nirgends, sagte sie, als ihr Vater wieder Platz nahm, sichtlich zufrieden mit dem Kameramann, der noch blass war, aber schon nach seinem Gerät griff, Vila ein Zeichen machte, weiter geht’s. Und die Moderatorin der Mitternachtstipps sprach den Dichter auf sein Verhältnis zu Europa an, auch im Hinblick auf die Nobelpreisstimmung für ihn. Europa, seine älteste Geliebte, rief Fernández, und damit meine er Italien, Spanien, Frankreich, den Süden, aber auch nicht zu vergessen: das schöne Schweden. Deutschland kenne er bloß von einem Besuch der Buchmesse, ruhmloser als dort könnte sich ein Autor nicht mehr

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