Liebe in groben Zügen
Haus herumzugehen, allein. Und schon verschwand er im Dickicht des Gartens, während der Veteran samt Krücken bei einer Bananenstaude vor dem Grundstück Spähposten bezog. Vila zeigte auf die Kamera, sie wollte Außenbilder, und Bühl tat, was er konnte, trotz unerbittlicher Peristaltik. Das schlösschenartige Haus in der Totale, mit und ohne Garten. Close-ups auf die Veranda, die kleinen Balkone; zuletzt der Spähposten und ein Schwenk über die Straße. Danach gleich das Sichten der Bilder, bis Spiegelhalter wieder aus dem Dickicht trat, in der Hand schon ein Glas Rum. Fernández empfängt uns!
Die Haustür ging von innen auf, und nacheinander betraten sie das Dichterreich im Diplomantenviertel, zuerst der schon Vorgelassene mit seinem Rum, gefolgt von der Interviewerin und zuletzt Bühl mit der Kamera. And where is your sound man? Die mürrische Tochter stand in einem Vorraum neben einer weißen geschwungenen Treppe, rauchend in einem Anzug mit Kragenspiegeln, Uniform oder Phantasieuniform, in einer Hand das Funkgerät, in der anderen Zigaretten. Spiegelhalter gab ihr eine Erklärung, was den Ton betraf, kein Wort ihres Vaters gehe verloren, und Bühl nahm schon architektonische Kleinode auf, Halbbögen und Kapitelle, marmorne Nischen, Fenster aus buntem Glas, dahinter Meisterwerke von Gittern, Schutz für die Kunst an den Wänden. Russische Kubisten, die musst du scharf bekommen, sagte Vila, nur blieb für scharfe Bilder keine Zeit mehr. Wie man es von karibischen Dichterberühmtheiten erwartet, kam Pablo Armando Fernández im Tropenanzug über die geschwungene Treppe seinen Besuchern entgegen, ein untersetzter Mann mit Beethovenschopf und eisgrauem Kinnbart, einer gestauchten Raubvogelnase und dem Blick eines Revolverhelden aus zwei Husky-Augen. Das Leben und das Denken haben uns hier zusammengeführt, sagte er auf Englisch, und Vila wurde gleich eine Frage los, wie man in so schöner Umgebung überhaupt denken könne. Der alte Dichter legte Bühl eine Hand auf die Schulter, als hätte er ihm die Frage gestellt – I think with my heart, so it works. What’s your name? Und Vila übernahm es, ihren Kamera- und Tonmann vorzustellen, mit vollem Namen: der Beste auf seinem Gebiet im ganzen Sender.
Then welcome in my heart, Chris! Fernández hakte sich bei Kristian Bühl unter, er führte ihn von dem Vorraum in ein verwinkeltes Wohnzimmer, die Wände dort ebenfalls voller Bilder wie aus einem Museum. Alles aufnehmen, sagte Vila, als sich der Hausherr schon auf einem Sofa im halben Sonnenlicht niederließ – der Grund für die Tageszeit des Interviews, erklärte er, smoothy sunshine. Leise Worte nur für den Kameramann, und dabei stieß er, wie aus Versehen, an ein gerahmtes Foto auf dem Sofatisch, eine Bewegung, die überging in das Glätten von Falten an seinem hellen Anzug, der ihn größer erscheinen ließ; den Rest besorgten die Absätze schon mehr funkelnder als glänzend schwarzer Schuhe. Vila tippte an Bühls Arm, Das Foto auf dem Tisch, in Groß! Und er holte es heran, in allen Details – drei alte Männer saßen auf dem Sofa, auf dem Fernández saß, an zentraler Position er selbst, links neben ihm leibhaftig Fidel Castro, schon von Krankheit gezeichnet, aber noch im Kampfanzug, und zu seiner Rechten, für einen Leser von Romanen noch erstaunlicher als Castro, der Autor von Hundert Jahre Einsamkeit, García Márquez, offenbar bestens gelaunt, in einem weißen bestickten Hemd, die Manschetten umgeschlagen, dass man die goldene Rolex sah, wie bei dem Vater der kubanischen Revolution die schwere seitlich sitzende Pistole. Der Freund beider Berühmtheiten wandte sich an den unbekannten Kameramann: sein Achtzigster vorigen Monat. Und er hätte ihn eingeladen, wäre er da schon in Havanna gewesen – you und your camera, Chris!
So ist der Mann: schwul, sagte Spiegelhalter, inzwischen vom Rum zum Wein übergegangen, während Bühl gar nichts sagte, ja hinter dem HD-Gerät förmlich Zuflucht suchte; wie eine Nasenmaske, skurril venezianisch, hielt er es vors Gesicht, die andere Hand am Bauch, auf dem Rumoren darin und darunter, im Moment durch nichts zu beruhigen, am wenigsten durch einen Eistee, den die Tochter servierte, das Militärfunkgerät jetzt am Koppel. Signor Fernández, wenn Sie hier in Ihrem Haus sitzen und schreiben, sagte Vila mit Seitenblick auf Spiegelhalter – der sofort laut übersetzte, wie es mit der Tochter vereinbart war, und ihr dabei das leere Glas hinhielt –, gibt es da nicht
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