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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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am Vorabend hatten wir die letzte Sendung im Camp gesehen, als DVD, ich saß neben Schniedel, der ein T-Shirt von Energie Cottbus anhatte, und jetzt brannte er ab, sein Gebrüll ließ erst nach, als ihm das Fleisch an den Armen schmolz. Er brach zusammen, als sich mein unteres Bein samt Knie im Sand überschlug und die Hunde anlockte. Dann wurde der Sand schon aufgewirbelt und das Bein davongeweht, die Hunde rannten kläffend ins Dunkle, und ein Scheinwerfer erfasste mich, helle Kotze lief auf den Beinrest, während MG-Feuer mit Leuchtspur in das Lehmhaus ging und die Kameraden, die unverletzt waren, herumstanden und heulten. Der Hubschrauber setzte auf, und jemand rief Fuck, und der Sand in der Luft legte sich, und der Mond schien, und mein Herz schlug, also lebte ich, und einer nahm meine Hand, obwohl noch Schüsse fielen. Er hielt sie, und aus seinem Funkgerät Stimmen, als sei gar nichts passiert, nur lag ich auf der Straße, und mein Bein war weg, und zwei Meter weiter der Junge mit der Armverletzung, ein Loch im Gesicht. What’s your first name, fragte der mit der Hand um meine, und ich sagte Sören, und er rief I’ll be with you, Sören! Und der Mond schien, und ich dachte, es sei die Sonne, nur kleiner und dunkler, eine Sonnenfinsternis, dachte ich, und das Schießen ging weiter, und mein Bein war weg, und die Hunde kläfften, und der Feldwebelrest lag herum, und der Mond schien, und der Dingo brannte – und und und, finito, sagte Kampe schließlich, um überhaupt an ein Ende zu kommen, und ging dabei schon an seinen Krücken davon.
    ALLE Redseligen sind Wiederkäuer, sie ernähren sich von alten Wunden und Zweifeln, in einer Art Schluckauf würgen sie die Wunden und alle Zweifel ein ums andere Mal herauf und verschlingen sie erneut. Vila hatte ihrer Tochter in der Neruda-Suite von der eigenen Abtreibung erzählt, ihrem preisgegebenen, verlorenen Sohn, bis Katrin, wenn auch stillschweigend, nachzog und sie dann beide weinten, während der Hauptmann außer Dienst auf der einstigen Tanzterrasse vor dem halben O aus dem Schriftzug Casino stand und die Afghanistanleier drehte oder eigentlich nur der Kasten war, an dem Bühl und Spiegelhalter kurbelten, indem sie zuhörten – dem Redseligen geht es nicht so sehr um die Wahrheit, ihm geht es darum, mit der eigenen Dürftigkeit fertigzuwerden, immer wieder und wieder.
    Nach seiner Beingeschichte war Kampe an die Bar gegangen und hatte eine Flasche Rum gekauft, den besten, einen siebzehn Jahre alten Matusalem vom Combinado de Bebidas in Havanna, und auf der Rückfahrt ließ er die Flasche herumgehen; sie fuhren offen durch das Brachland, auch die Scheiben heruntergekurbelt gegen die drückende Luft. Der Rum war scharf und ölig, darin eingeschlossen die gereifte Süße. Der schmeckt nach Leben, sagte Vila. Sie weinte noch und trank, bis ihr der Rum über die Lippen lief, dann gab sie die Flasche an ihren Kameramann weiter, und der reichte sie wieder nach vorn; auf dem Brachland jetzt vereinzelt Lichter von Karbidlampen oder Kerzen in Hütten, es roch nach Kerosin und Tang. Vila legte den Kopf an Bühls Schulter, die warme Luft im Gesicht tat ihr gut, auch die Gerüche darin, die ganze Fahrt. Und dass ihr Begleiter nicht mit Fragen kam, ihr Zeit ließ, ja sie überhaupt so ließ und so nahm, wie sie war. Er stellte eine Schulter zur Verfügung wie der junge Veteran einen alten Rum, und für beides war sie dankbar, und allein aus diesem Gefühl heraus, gut aufgehoben zu sein in dem Wagen, fing sie auf einmal an zu erzählen, auch für sich, um es selbst zu verstehen. Kein Wiederkäuen, ein Verdauen.
    Die beiden haben auf dem Bett gelegen, sagte sie. Auf einem Kingsize-Bett mit Tagesdecke, meine Tochter im Jogginganzug und der Kubaner in Armani-Jeans und einem T-Shirt mit einer Zeile seines Onkels. Und vor dem Bett lief der Fernseher, und Katrin aß Chips, ihr Typ trank aus einer Bierdose, am Handgelenk eine Patek Philippe und zwei Goldketten. Er erinnerte mich an Benicio del Toro in dem Film Traffic, nur schmaler und jünger, aber auch mit diesen Schatten unter den Augen. Auf dem Bett stand ein Tablett mit Essen, ein Kellner hatte es eben gebracht, ich war in die Suite gekommen, als er ging, er glaubte wohl, ich gehöre dazu. Also sah ich die zwei da liegen, bevor sie mich sahen. Sie schauten sich eine alte Serie an, Die Waltons, die hatte ich früher mit Renz gesehen, er wollte etwas in der Art für Deutschland machen, aber die Waltons funktionieren nur, weil das

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