Liebe in groben Zügen
für eine Zigarettenlänge sind wir allein, Katrin zieht sich die Decke über den Kopf, das hat sie immer getan, wenn es eng wurde, und ich hole mein Telefon aus der Tasche und sage, wir rufen jetzt Renz an, der hängt an dir, er erzählt mir immer wieder, wie du ihn aufgemuntert hast, als ich nicht da war, am ersten Tag im neuen Haus, wo alles noch schrecklich aussah – sprich mit ihm, rufe ich und wähle die Nummer, und sie schüttelt unter der Tagesdecke den Kopf, was ich fast respektiert hätte, aber eben nur fast. Renz meldet sich gleich, er hat auf den Anruf gewartet, und ich sage ihm, wo ich bin, bei unserem einzigen Kind, und ziehe die Decke weg und drücke Katrin das Telefon ans Ohr und mache sogar den Lautsprecher an, weil ich hören will, was er sagt, und Katrin heult, wie sie geheult hat, als sie von Kaspers Tod erfuhr, ein Ausbruch, bis sie sich gegen die Stirn boxt und es schafft, von sozialer Indikation zu reden, und dann erwähnt sie auch gleich den Forschungsauftrag, ein halbes Jahr am Rio Xingu, und Renz ruft Glückwunsch Kleines, Wahnsinn! Er kriecht förmlich aus dem Gehäuse und schlägt vor, sich bald zu treffen, was Katrin gleich einschränkt, frühestens um Weihnachten, sie sei noch an einer Arbeit. Und auch dann nur in der Region, sagt sie. Darauf von mir der Vorschlag, sich in Jamaika zu treffen, in unserem Weihnachtshotel – wir fahren schon seit Jahren, seit dem Tod meiner Mutter, in dieses Strandhotel, der Heiligabendvermeidungsurlaub. Warum also nicht uns dort treffen, sage ich, und Renz wechselt das Thema, er kommt auf eine Bemerkung, die ich gemacht habe: dass ich wieder die Frau in den besten Jahren sei, weit davon entfernt, Großmutter zu werden. Was meinst du damit, fragt er mich allen Ernstes, da ist mein Daumen schon auf der Austaste. Vergiss es, rufe ich, wir reden später, in zwei, drei Tagen bin ich zu Hause, und wenn du etwas für mich tun willst, mach die Umsatzsteuer! Mein letztes Wort, Umsatzsteuer, als der Neffe schon wieder ins Zimmer kommt, und Katrin will wissen, wann ich genau zurückfliege, sie mich also los wäre, und ich nehme ihre Hand, das ist alles, was ich tun kann, die Hand einer Tochter halten, die sich ihr Kind hat wegmachen lassen, aber schon wieder nach vorn schaut. Und dein Typ, frage ich leise, kommt der mit nach Brasilien, und Katrin, noch leiser, nein, es sei auch eigentlich vorbei. Obwohl er wirklich etwas hat, flüstert sie mir zu: im Profil, wie die auf den Vasen in der Etruskerausstellung, erinnerst du dich? Und natürlich erinnere ich mich, ihr Ferienjob, als sie studierte, Führungen im Liebieghaus, die Etrusker fand sie immer schon toll, und abends zogen wir privat durch die menschenleeren Räume, allein mit all den Grabpornos, und Renz sagte Zum Sterben schön! Das hat sich Katrin gemerkt und ließ sich von Herrn Belarmino, auch zum Sterben schön, nach Havanna locken, und dort führte er sie, um ihr mehr zu bieten als nur eine Klinik, zuerst in dieses Haus mit den Tässchen und Tellerchen und winzigen Löffeln an allen Wänden, wie Grabbeigaben für eine Königsschwuchtel, und sie fand das obertoll, meine gescheite Tochter, weil sie ganz besessen ist von allem Fremden, irgendwie Erotischen und wohl jedem zeigen will, dass sie es aufnehmen kann mit den Frauen auf den Vasen, die Jahrhunderte in der Dunkelheit der Tumben überdauert haben, gevögelt von allen Seiten. Für ihre etruskischen Stunden mit einem Edelkubaner hat sie unser Enkelkind geopfert, meine Theorie, nur hielt ich den Mund und dafür weiter Katrins Hand, und ihr Möchtegernliebergott stocherte in Chickenwings, die längst kalt waren, und machte mir ein unterirdisches Kompliment, Such a good looking mother, und ich nur: Nice to meet you, das Schlusswort, denn zu Katrin sagte ich gar nichts mehr, ich umarmte sie nur, und sie murmelte Mamma, mit zwei m. Mehr kann man gar nicht verlangen von seiner erwachsenen Tochter. Ende.
Vila drückte Bühls Hand, beide hatten sich klein gemacht hinter dem Fahrersitz, kaum zu sehen in der Dunkelheit und erst recht nicht zu hören, weil das Radio lief, eine laute, überstürzte Musik, seit sie wieder am Meer entlangfuhren, an schwarzem Fels und Brandung. Es regnete leicht, einzelne Tropfen flogen in den Pontiac, Vila machte die Augen zu, eine Hand in dem Haar, das nicht ihres war, aber sich anfühlte wie ihres, als hätten sie ihre Haare zusammengeworfen. Der Matusalem wurde noch einmal nach hinten gereicht, und sie tranken; die alten
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