Liebe in groben Zügen
Stadthotels an der Uferstraße tauchten auf, alle dunkel bis auf den Doppelklotz des Hotels National. Und auf dem Malecón dann tiefe Pfützen, der Regen war erst abgezogen, die Luft noch zum Greifen. Wir steigen hier aus, sagte Vila, und der Veteran stoppte den Wagen unter dem Vordach eines einstigen Theaters, Vila beugte sich nach vorn – Trotzdem danke. Und ich weiß jetzt immer noch nicht, wie das mit Ihrem Bein passiert ist.
Kampe stellte den Motor ab, er bat um den Rum und trank einen Schluck, dann brachte er seine Beingeschichte, nur etwas verkürzt; Vila hörte geduldig zu, ebenso Bühl, während Spiegelhalter zu schlafen schien. Aber so war es nicht, es war anders, sagte er vor der Stelle mit dem Hubschrauber. Ein normaler Tag zunächst, aufstehen mit der Sonne, Frühstück, Briefing, Prüfen der Ausrüstung, dann Zeit für Mails und Sport und nachmittags die Patrouille. Erst ein Stück über Land im Konvoi, später Inspektion einer Behelfsbrücke und gegen Abend die Kreuzung bei der Ortschaft Chahar Darreh, die wir sperren sollen. Ich erinnere mich nicht einmal an einen Knall. Eben noch eine Straße über einer Flussschleife mit blassen Sandbänken, im nächsten Moment schon ein blasses Bett, und Hände richten mir den Kopf auf, ich kann aus einem Fenster schauen, dahinter ein Farbenrätsel. Das ist der Herbst, willkommen in der Pfalz, sagt jemand, und die Hände drehen mir den Kopf, bis ich mein eines Bein sehe. Es liegt auf der Decke, gleich daneben wird die Decke flach, und eine Frau sagt, ich hätte nur ein Bein verloren, Glück gehabt. Und ich will ihr Gesicht sehen, aber sie trägt einen Mundschutz bis über die Nase und eine Haube bis in die Stirn, allein die Augen sind frei, wie bei den Frauen, die uns überall ausgewichen sind, näher kann man einem Traum nicht sein. Das ist die ganze Geschichte, also erzähl ich gern eine eigene.
Nur kommt die immer anders, sagte Spiegelhalter, mal besser, mal schlechter, er hat sie auch schon versaut. Aber die ewige Gefahr des Misslingens gibt ihr die Würde des Ernstfalls – trinken wir auf den Hauptmann! Er nahm den ersten Schluck, und als jeder getrunken hatte, kam der Moment des Abschieds. Spiegelhalter nahm den Matusalem an sich, Vila zahlte das restliche Honorar. Alles Gute für Ihr Institut, sagte sie, während es der Leiter des Instituto Fichte bei einem Adde beließ, mehr zu Bühl als zu ihr, das kleine Wort wie weggeschubst, nur mit etwas Druck auf dem e, so, wie man es immer noch hören kann in ihrem gemeinsamen Tal.
SIE waren die Einzigen weit und breit, kein Mensch auf der Kaimauer, kein kreischendes Pärchen, zu stark die Brandung, immer wieder ihr Emporschießen und das Klatschen auf die Straße. Vila an einer der Säulen des Vordachs, Rücken und Kopf angelehnt, über ihrem Haar Reste kobaltblauer Farbe, darin Tupfer wie von getrocknetem Blut. Sie weinte wieder, ein stilles Herauslaufen, Tränen, die man nicht trocknen oder aufhalten musste, nur so ertragen, wie Bühl sie ertrug.
Renz und ich, wir haben vor Jahren Die Marquise von O. im Kino gesehen, da liefen nur so die Tränen im Film, und die Leute lachten. Warum? Vila löste sich von der Säule und hakte sich unter bei Bühl, sie küsste sein Ohr im Gehen, seine Schläfe. Weil das so komisch war oder anders nicht auszuhalten? Sie drückte sich an ihn, sie sagte, er könne gern lachen, los! Aber im selben Atemzug, als sie sich übers Gesicht wischte, etwas ganz anderes: warum es in seinem Leben kein Kind gebe – wolltest du frei sein, oder was wolltest du? Keine harmlosen Fragen, also schob sie gleich ein paar andere nach, Gab es eine Frau in deinem Leben, gab es einen Lieblingsschüler, wollen wir etwas essen gehen, wollen wir ins Hotel? Die Zeit schien ihr davonzulaufen, während sie Richtung Hotel gingen, nicht die gegebene, die Vila-Renz-und-Katrin-Zeit, plus die ihrer Mitternachtstipps, sondern die andere, kostbare Zeit, die man sich nimmt, ohne zu fragen. Ja, es gab eine Frau, sagte Bühl, eine lange Geschichte, zu lang für mich. Und es gab auch einen Lieblingsschüler, Fährmann, Latein zwei, Ethik eins, er war schmal, fast mädchenhaft, nur mit dunkler Stimme. Und ich könnte etwas essen, aber wo? Bühl winkte ein Taxi heran, der Fahrer verstand Englisch, Good restaurant, wiederholte er, und Vila, beim Einsteigen, Not too far from the Plaza Hotel! Es war ein rostiger Honda, die Rückbank durchgesessen, sie rutschten förmlich ineinander, als es um den Parque Central herum ging;
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