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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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Ganze während der Depression spielt und John-Boy grenzenlos optimistisch ist. Er notiert gerade was in sein Tagebuch, als ich seitlich auf das Kingsize-Bett zugehe, und Benicio Belarmino sieht mich vor meiner Tochter und sagt Your mother, honey, als wären wir schon einmal aneinandergeraten, und er hätte mich erwartet. Und ich sage Hallo, und Katrin, meine Tochter, legt die Hände aufs Gesicht und sagt Scheiße, mit Betonung auf dem Sch, irgendwie auch von Herzen, aber Scheiße bleibt Scheiße, und ich sage Tut mir leid, ich bin deine Mutter, ich musste was tun, nachdem du verschwunden warst mit dem Bauch, und als ich von Havanna hörte, bin ich nach Havanna geflogen. Und habe dich gesucht, okay? Und leider zu spät gefunden! Und Katrin nimmt ihre Hände vom Gesicht und sagt Nein, nicht okay, das ist CIA!, und dann fragt sie, wie ich sie gefunden habe, wer da bezahlt worden sei, und ich erzähle irgendein Zeug, um den schwulen Dichteronkel nicht mit reinzuziehen, aber sie glaubt kein Wort, Mama, du redest nur Scheiße, sagt sie und spricht auf Spanisch weiter, sie stellt mich ihrem Typen vor, sie nennt mich Moderatorin, wow, damit er nicht denkt, ich sei eine Schachtel, und ich schreie sie an, sie solle wenigstens englisch reden, und sie sagt mir auf Deutsch, dass es ihr gutes Recht sei, kein Kind zu kriegen, und ich erzähle ihr von dem Tag, an dem sie um einen Bruder gebracht wurde, im Grunde um eine echte Familie, Vater, Mutter und zwei Kinder. Renz fuhr mich zu der Klinik, sage ich, während du in der Schule warst, er hat dann im Foyer gewartet, sein Notebook auf den Knien, um die Zeit zu nutzen, und ich lag im Untergeschoss mit breiten Beinen, diese Dinge passieren im Souterrain, nicht im richtigen OP, in einer Art Hinrichtungsraum, und sie wollten alles abdecken, bevor sie mit der Todesspritze kamen, auch wenn es Instrumente waren, ihre grünen Tücher davorhängen, ich aber wollte dabei sein, ich wollte es sehen, das war das mindeste, das ich tun konnte für mein Kind, sage ich zu Katrin, und auf einmal laufen ihr Tränen, während der Mann auf dem Bett einfach weiter die Waltons schaut. Und dann wage ich ein Warum, ermutigt von den Tränen, und meine Tochter erzählt mir von einem Forschungsauftrag, unterstützt von ihrer Fakultät, einer Walter-C.-Mills-Stiftung, ein halbes Jahr Brasilien schon ab kommenden März, eine Arbeit über die Gebräuche irgendwelcher Indianer an irgendeinem Nebenfluss im Amazonasdelta, ich habe es mir auf dem Block, der neben dem Kingsize-Bett lag, notiert, um es irgendwie auszuhalten, was man mir da erzählt hat.
    Vila zog ein Blatt aus der Rocktasche, jetzt ganz an Bühl gedrückt, ein Bein halb über seinem. Da steht es: Sie fährt zum Rio Xingu, und es geht um die Kamayurá-Indios mit einer furchtbaren Tradition. Kinder ohne Vater, ohne Familie, ohne Zukunft, werden dort von den Müttern mit stiller Billigung des Staates lebendig begraben. Und die Forschungsfrage lautet: Wie kann der Staat in diese Tradition eingreifen, ohne die Grundfesten dieser Menschen zu gefährden. Und das Kind mit dem Bad auszuschütten – das waren meine Worte. Zu meiner Tochter. Oder hätte ich dich etwa lebendig begraben sollen, nur weil dein Vater, als du mich Tag und Nacht beschäftigt hast, mit anderen herumgemacht hat, rufe ich ihr ins Gesicht, und sie sagt, der Auftrag sei eine Riesenchance, auch für ihre Promotion, ein kleines Kind zur selben Zeit: unmöglich. Und ich verfluche ihr Studium und diese idiotische Walter-Mills-Stiftung, und Katrin wiederholt das Todesurteil für ihr eigenes Kind auf Englisch. Impossible! Erst danach fällt sie in sich zusammen, ein wütendes Häufchen Elend im Joggingzeug, unfähig, richtig zu weinen, aber auch unfähig, cool zu bleiben. Es ging gar nicht anders, schreit sie, und da schaltet sich Signor Belarmino ein und kommt mir mit dem Ausbildungsstand kubanischer Ärzte, die hätten das alles perfekt gemacht, Perfectly, Madam, und ich sage, Oh, da danken wir aber, und der Schwarm meiner Tochter greift sich ein silbernes Feuerzeug und die amerikanischen Zigaretten auf seinem Nachttisch und verschwindet auf die Terrasse der Suite, während im Waltonhaus die Lichter ausgehen, alle sich Gute Nacht sagen, ganz am Ende Opa Walton, schon ohne Gebiss, Good night everybody – ein Opa, dem es gutgeht mit seinen Enkeln, und ich muss weinen, so weinen, dass meine Tochter mich tröstet und taktvoll genug ist, den Fernseher abzustellen. Endlich ist es still in dem Raum,

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