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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Kirchhoff
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des Plaza Hotels von Havanna, den Kopf in einem warmen Schoß und eine interessierte Hand auf dem Bauch, die Finger unter seinem Gürtel, liebte er nur weil . Weil er so gebettet lag, über ihm ein gutes Gesicht, weil der Mund darin so weich war, der Blick aus den Augen so unruhig. Wenn es Gründe gab, lagen sie an der Oberfläche. Er zog das Schöne, Weiche, Warme noch mehr an sich heran, eine Hand unter Vilas Kleid, auf der Brust über einem schlagenden Herzen, und alles andere verschwand dahinter, das Sofa, die Pflanzen, die Lobby, die noch bleibende Zeit.
    Erst als die Schwarzen von der Security ihre Runde machten, das Knacken aus den Funkgeräten näher kam, kam auch die Zeit wieder ins Spiel – ob er nicht müde sei, nicht lieber schlafen sollte, im Bett gesund werden, leise Worte in sein Ohr. Wir haben morgen noch den ganzen Tag, sagte Vila, für ihn kein Argument. Nein, keine letzten Stunden neben gepackten Koffern, während die Sonne wandert, erst aufs Bett scheint, dann an die Wand, dann gar nicht mehr ins Zimmer. Wir verabschieden uns hier – du weißt, wie sich Franz in Assisi von Klara verabschiedet hat? Ich wandere jetzt nach Spanien, auf dem Rückweg sehen wir uns wieder. Oder was sollen wir tun? Eine Frage in Vilas fallendes Haar, den Mund an ihrem Mund, die Hände an den Wangen. Er hielt ihr Gesicht wie etwas, das unter keinen Umständen verlorengehen darf, und sie sagte nichts mehr, aber auf ihrer Zunge wohl die drei Worte, die zu viel wären. Sie streichelte nur seine Lippen, die Nase, die Stirn, sie zog die Falten zwischen den Brauen glatt und atmete im Takt mit ihm, das alles hinter dem Haarevorhang, als seien sie allein auf der Welt, nur waren sie nicht einmal in der Halle allein. Die Security hatte auf ihrer Runde im hintersten Winkel haltgemacht, mit sicherem Auge für das berüchtigte Glück.
    *

VII
    UND Renz? Der glaubte, anders als Vila, nicht an ein Recht auf Glück oder überhaupt an diesen Zustand, für den man nur bereit sein müsste, um daran teilzuhaben; er glaubte viel eher an den Zufall, das Spielerglück, und sein Recht, die Gunst der Stunde nutzen zu dürfen, an das berüchtigte Abstauben: Wenn schon, aus seiner Sicht, alles bereits existiert, was einem Schaden zufügen kann, das Unglück also nur darauf wartet, dass man ihm in die Quere kommt, wieso dann nicht mitnehmen, was im Augenblick guttut? Und wie es schien, war er damit gar nicht so weit von Vila entfernt, die ja auch einfach mitnahm, was der Zufall in ihr Leben getragen hatte, aber etwas mit offenem Ausgang, letztlich unabsehbar, während er schon den Verlauf bis zum bitteren Ende vor sich sah, Marlies’ stille Verflüchtigung.
    An dem Oktobertag, an dem Vilas Koffer in Havanna gepackt war, fuhr Renz in seinem übergroßen Wagen von Oberitalien nach München, neben sich die Frau, die ihn von Anfang an bejaht hatte, unendlich jünger als er und krank. Sie hatte abends einen Arzttermin in München, das Fieber ging nicht zurück, ihre Wangen – Teil seines Spielerglücks – glühten; sie schlief oder dämmerte, er wusste es nicht genau und wollte es auch nicht wissen, er wusste schon viel zu viel von ihr. Marlies hatte zwei Chemotherapien hinter sich, mit mäßigem Erfolg, eine weitere stand bevor, die Entfernung eines Lungenflügels lehnte sie ab. Sie glaubte an die Heilkraft der Liebe, auch und gerade mit einem älteren Mann, der etwas im Rücken hatte, eine Frau, eine Tochter, seinen Beruf. Und sie glaubte an die Heilkraft der Arbeit, an die Serienprojekte: deren Gedeihen wäre auch ihres, und das jüngste Projekt war nach den Tagen in Assisi schon nicht mehr die Seearztserie, sondern, weit ehrgeiziger, ein Zweiteiler über das Leben des Franziskus, Arbeitstitel Der heilige Sänger. Renz hatte immer wieder von der Hineingraberei seines Mieters in dieses weit zurückliegende Leben gesprochen: Bühl, ein idealer Experte für das Vorhaben. Der Rest bestand aus Dramaturgie und Akquisition, beides Marlies’ Gebiet, und wie er sie kannte, machte sie sich sogar im Dämmern noch Gedanken dazu, halb zur Fahrerseite gedreht, eine Hand in seiner Hand. Die Autobahn war nicht voll, nur auf dem Gefälle vor Innsbruck viele LKWs unter tiefen Wolkenfetzen; am Brenner hatte es schon geschneit. Und auch die letzte Nacht im Haus war kalt, das alte Problem mit dem Heizungsdruck, sie hatten im Gästezimmer gelegen, Marlies mit Schüttelfrost in einem Flanellhemd von Katrin aus der Zeit, als man Weihnachten noch am See verbracht hatte.

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