Liebe in St. Petersburg
Anstand herumbringen …
Auf den Poststationen, wo man übernachtete, rief das Erscheinen von General Michejew jedesmal einen großen Wirbel hervor. Schon belegte Zimmer wurden seinetwegen geräumt, die Vormieter einfach am Kragen gepackt und hinausgeworfen, und wer protestierte, den übergab man den Kosaken. Nach einer Stunde sang derjenige Loblieder auf den Grafen Michejew, und nach zwei Stunden schwor er, daß Wladimir Alexandrowitsch einmal seliggesprochen werde. Sich mit den Kosaken anzulegen, ist eine fatale Sache!
Zwei Tagesreisen vor St. Petersburg übernachteten sie bei dem Postmeister Wassja Mironowitsch Lepkejew. Er hatte eine große Station an der Straße, die hier schon ausgebaut war. Telegrafenstangen wiesen den Weg durch die einsame Landschaft. Hier gab es also Telefon, und die große Welt kam dadurch ins Haus. Lepkejew galt als einer der Postmeister, die jeden maßgebenden hohen Herrn kannten, denn wer aus St. Petersburg ins Hinterland wollte, mußte bei ihm rasten.
An diesem Abend – Michejew hatte eine ganze Stube räumen lassen, um nicht mit dem gemeinen Volk in einem Raum sitzen zu müssen – sprach ein Fremder Gregor von Puttlach an. Gregor war vor die Posthalterei getreten, um etwas Luft zu schöpfen, denn drinnen hatte Lepkejew kräftig eingeheizt, und es war zu warm im Hause. Der Fremde, ein hagerer Mann mit einem schwarzen verwilderten Bart, in derben Stiefeln und gesteppter Wattejacke, lehnte sich neben Gregor an die hölzerne Brüstung und stopfte sich eine Pfeife.
»Sie sind deutscher Offizier?« fragte er.
Gregor sah ihn erstaunt an. Der Mann sprach ein gutes, einwandfreies Russisch, das gar nicht zu seiner Erscheinung paßte.
»Sie sehen es!« antwortete Gregor abwartend.
»Erstes kaiserliches Ulanenregiment?«
»Sie kennen sich aus bei den deutschen Truppenteilen!«
»Ich habe in Berlin und Tübingen Geschichte studiert, mein Herr. Wir können uns auch in Ihrer Sprache unterhalten.«
»Nein, bleiben wir bitte beim Russischen.«
»Sie sind Gast des Grafen Michejew?«
»Ja.« Gregor blickte den Mann an. Er hatte ein asketisches Gesicht, fahl und knochig. Die hohe Pelzmütze schien es zu erdrücken. Der Mann machte ein paar Züge aus seiner Pfeife, blies den Rauch mit gespitzten Lippen in die kalte Nachtluft und kratzte sich dann den wilden Bart mit dem Mundstück der Pfeife.
»Seien Sie vorsichtig!« sagte er unvermittelt.
»Ich weiß nicht, was Sie veranlaßt, mir solche Ratschläge zu geben!« antwortete Gregor überrascht. »Ich kenne Sie nicht und habe auch kein Interesse, Sie näher kennenzulernen – auch wenn Sie in Berlin und Tübingen studiert haben.«
»Und in Genf …«
»Von mir aus auch in Genf! Im übrigen bin ich mit der Tochter des Grafen Michejew verlobt. Genügt Ihnen das?«
»Ich dachte es mir. Ich habe Sie und die Comtesse gesehen, wie sie sich hinter dem Haus küßten, als die Kutscher die Pferde abschirrten.«
»Ich nehme an, daß der Anblick Sie erfreut hat!« sagte Gregor, bereits ein wenig zornig. »Und was wünschen Sie noch?«
»Ich stand einmal vor einem ähnlichen Konflikt wie Sie, Herr Oberleutnant.« Der Mann zog an seiner Pfeife und beugte sich über das geschnitzte Geländer der Balustrade. Über dem weiten verschneiten Land stand der Mond. Der Schnee schimmerte bleich – es war eine Märchenlandschaft. »Ich hatte mich in Tübingen verliebt. Ein wunderschönes deutsches Mädchen war es, anschmiegsam wie Seide, zärtlich wie eine Feder, wenn sie über einen nackten Leib streicht. Es war die vollkommene Seligkeit … Was kann sich ein Mann mehr wünschen? Aber dann kam ein Ruf aus Genf, und ich hatte mich zu entscheiden: für Greta – so hieß das Mädchen – oder für Rußland. Raten Sie, für was ich mich entschieden habe.«
»Da Sie hier bei Lepkejew auf der Balustrade stehen, war es Rußland.« Gregor wandte sich dem Fremden voll zu. Das Gespräch begann ihn zu interessieren. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen! Ich bin Deutscher, die Comtesse Michejew ist Russin. Sie denken, ich müßte mich auch einmal entscheiden. Ich habe es bereits getan!«
»Wählten Sie Deutschland, Herr Oberleutnant?«
»Das fragen Sie – als Russe?«
»Ich sagte Ihnen … Es kam ein Ruf aus Genf, und ich entschied mich für Rußland. Aber durch Greta liebte ich auch Deutschland, und deshalb hatte ich die Frechheit, Sie anzusprechen. Sie betrachten es doch als eine solche?«
»Zumindest war es ungewöhnlich.« Gregor musterte den asketischen
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