Liebe in St. Petersburg
solchen Gasthof nach Einbruch der Dunkelheit und sagen Sie: Ich bin ein Bolschewist! Man wird Sie umarmen, an sich drücken, Sie küssen und Genosse nennen.«
»Genosse?«
»So nennen wir Freunde uns! Sogar junge zaristische Offiziere sind Genossen geworden. Vor allem von der Marine!«
»Das ist unmöglich! Kein Offizier wird je …«
Der Mann wischte Gregors Einwand mit einer Handbewegung fort. »Die Zeit ändert sich, Herr Oberleutnant. Auch in Ihrem Land! Aus Deutschland kommen die Ursprünge, die Lenin realisiert. Marx und Engels …«
»Die kenne ich, mein Herr! Sozialistische Spinner! Man nimmt sie bei uns nicht ernst. Bismarck hat sie lächerlich genug gemacht, und das gesunde deutsche Bürgertum ist kein Nährboden für derartige politische Popanze. Rußland … vielleicht!« Gregor zog an seiner langen Zigarre und blies den Rauch als Kringel in die kalte Nachtluft. »Aber auch Rußland ist in sich stark genug.«
»Was Sie stark nennen, ist die Herrschaft der Oberschicht! Aber kein Volk kann auf die Dauer mit der Faust im Nacken leben! Die französische Revolution war der Anfang. Jetzt werden wir Russen sie fortführen und der Welt zeigen, was eine wirkliche Revolution ist! Und die Welt wird sich uns anschließen. Freiheit! Das wird man in Zukunft öfters sagen als Amen! Denn auch die Kirche ist mit dem Kapitalismus verbunden, eine Form der Knechtschaft …«
Gregor richtete sich auf. »Beenden wir das Gespräch, mein Herr. Ich muß ins Haus, man wird mich vermissen. Wie soll ich Sie vorstellen, wenn der General herauskommt und mich sucht?«
»Sagen Sie, ich sei ein Arzt.« Der Mann lächelte, und sein verhungertes Gesicht strahlte plötzlich wie von innen her. »Und merken Sie sich meinen Namen, er könnte Ihnen vielleicht einmal nützen. Ich heiße Iwan Iwanowitsch Jerschow.«
»Gregor von Puttlach.«
»Heiraten Sie Grazina Wladimirowna und ziehen Sie nach Deutschland. Das ist mein Rat an Sie. Ich habe im Gebiet der Michejews schon öfter Versammlungen abgehalten, und ich bin gerade wieder auf dem Weg zu ihren Ländereien. In drei Tagen werde ich zu den Bauern sprechen.«
»So ist das?« Gregor warf die halbgerauchte Zigarre in den Schnee und zertrat sie. »Jerschow, dann werden wir eines Tages aufeinanderprallen! Michejew hat nur eine Tochter, und wenn ich sie geheiratet habe, bin ich nach Michejews Tod …«
Er schwieg. Jerschow nickte und sog an seiner mittlerweile erkalteten Pfeife. »Das war der Grund, weshalb ich Sie ansprach, Herr von Puttlach. Wenn Sie wirklich in Rußland bleiben, sollten wir beide nicht zu Feinden werden! Sagen Sie jetzt nicht: Das kann ich Ihnen garantieren, wenn Sie mich in Ruhe lassen!«
»Genau das wollte ich sagen!«
»Sie können die neue Zeit nicht aufhalten, Herr von Puttlach. Und sie wird auch um Trasnakoje keinen Bogen machen. Das sehen Sie doch ein?«
»Noch ist es nicht soweit, Jerschow!« Gregor stieß sich vom Geländer der Balustrade ab. »Ich werde, wenn ich Michejews Erbe antrete, meine Arbeiter und Bauern wie Menschen behandeln.«
»Wie Genossen, Gregorij.«
»Daran müßte ich mich gewöhnen. Was heißt das – Genosse?«
»Wir sind alle gleich. Es gibt keine Klassen mehr – es gibt weder arm noch reich. Jeder Gewinn gehört dem Staat, und da der Staat das Volk ist, gehört er dem Volk!«
»Das ist eine Utopie, Jerschow«, sagte Gregor und schüttelte den Kopf. »Warum sind Sie nicht Arzt geblieben?«
Er ging ins Haus und ließ Jerschow allein in der Kälte zurück. Im Vorraum lief ihm Grazina entgegen, ihren Pelz über den Schultern.
»Ich wollte dich gerade suchen, Liebster!« sagte sie. »Wo warst du? O Himmel, du bist ja völlig durchfroren!« Ihr langes blondes Haar wehte über sein vom Frost erstarrtes Gesicht. In ihren Augen sah er echte Sorge um ihn.
Ich liebe sie, dachte Gregorij. Mein Gott, wie herrlich ist diese Liebe! Haben wir nicht das Paradies verdient? Und da kommt so ein Mann wie Jerschow und will alles zerstören. Man sollte wirklich Alarm schlagen, damit er verhaftet wird.
Aber Gregor tat es nicht. Er legte den Arm um Grazina, küßte sie und ging mit ihr in die Stube zu ihren Eltern. Der köstliche Duft eines Bratens wehte ihnen entgegen …
In der Nacht wurde Gregor von seinem Burschen Luschek geweckt.
Mit dem Burschen war das so eine Sache: Er dachte voller Sehnsucht an Alla in Trasnakoje zurück, er dachte auch an die Möglichkeit, daß er sie tatsächlich geschwängert hatte, »wat 'nen russischen Berliner jeben
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