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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Fremden. Seine Augen waren fast unter buschigen Brauen verborgen. »Sie sagen immer Genf! Was hat Genf denn mit Rußland zu tun?«
    Der Mann lächelte schwach. Er schien diese Frage gewohnt zu sein. »Kennen Sie Wladimir Iljitsch Uljanow?« fragte er.
    »Nein.«
    »Er nennt sich auch Lenin …«
    »Nie gehört!«
    »Sie kennen auch nicht Rußlands Sozialdemokratische Arbeiterpartei?«
    »Davon habe ich gehört, aber Politik interessiert mich nicht. Ich bin Soldat!«
    »Es ist immer wieder verblüffend, mit welcher Selbstverständlichkeit sich das Militär zum Hampelmann der Politiker machen läßt«, sagte der Fremde. »Lenin stammt aus Simbirsk …«
    »Von mir aus!« rief Gregor abweisend. Sind wir wirklich Hampelmänner der Politiker? dachte er dabei. Irgendwie stimmt es: Wir erhalten Befehle und führen sie aus, ohne über Sinn oder Unsinn nachzudenken. Ein Befehl ist für uns wie ein Wort Gottes … Undenkbar für einen deutschen Offizier, daß hinter einem Befehl so etwas wie ein Mißbrauch der Macht stehen könnte.
    »Es sollte Ihnen aber nicht gleichgültig sein«, sagte der Mann sanft. »Schon achtzehnhundertfünfundneunzig gründete Lenin in St. Petersburg den ›Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse‹. Dafür wurde er drei Jahre nach Sibirien verbannt. Er flüchtete und lebt jetzt in Genf.«
    »Aha! Daher Genf!« Gregor griff in die Uniformtasche und zog eine lange dünne Zigarre heraus. Er biß die Spitze ab, und der bärtige Mann gab ihm Feuer. »Dann sind Sie also ein Revolutionär? Haben Sie keine Angst, daß ich in der Poststation Alarm schlage?«
    »Nein! Sie gehören – wie ich – einer Generation an, die vernünftiger sein sollte als unsere Väter. Aber lassen Sie mich weitererzählen. Neunzehnhundertdrei kam es zur Spaltung des Kampfbundes. Die eine Gruppe nannte sich ›Bolschewiki‹ – also die ›Mehrheitler‹ –, die andere nannte sich ›Menschewiki‹ – die ›Minderheitler‹. Lenin wurde Vorsitzender der Bolschewiki, aus denen im Jahr neunzehnhundertzwölf in Prag das ›Bolschewistische Zentralkomitee‹ entstand. Das Organ der Partei ist die Zeitung ›Prawda‹. Die Wahrheit! Ich komme aus Genf von Lenin. Sagt Ihnen das nun etwas?«
    »Sehr wenig, mein Herr.«
    »Lenin hat uns geschult. Wir sind eine Gruppe von Berufsrevolutionären, über ganz Rußland verstreut.«
    »Geschult?« Gregor lächelte spöttisch. »Wer so unvorsichtig wie Sie einem Fremden gegenüber ist, muß sehr töricht sein!«
    »Sie sind für mich kein Fremder.« Der Mann mit dem wilden Bart lächelte zurück. »Ich habe nicht nur Geschichte, ich habe auch Medizin und vor allem Psychologie studiert. Ich habe gewußt, daß ich mit Ihnen reden kann, nachdem ich Sie beobachtet hatte. Sie werden keinen Alarm schlagen. Und ich gebe Ihnen auch die Antwort auf die Frage, warum nicht. Weil auch Sie durch Ihre Verbindung mit der Comtesse Michejew in einen Konflikt verstrickt sind …«
    »Was wollen Sie von mir?« fragte Gregor und blickte auf die glimmende Spitze seiner langen, etwas gebogenen Zigarre.
    »Sagte ich schon, daß ich Deutschland wegen Greta liebe?« Der asketische Mann zog kräftig an seiner Pfeife, die auszugehen drohte. »Wenn Sie wirklich vorhaben, in Rußland zu bleiben, wäre es gut, sich auf mich zu berufen. Denn wenn eines Tages die Revolution ausbricht und unser geliebtes Rußland säubert, wenn der Adel und der Großgrundbesitz enteignet wird und das Volk die Herrschaft antritt, dann wird man auch nicht haltmachen vor den Michejews. Und es täte mir leid, wenn auch Sie dabei weggefegt würden.«
    »Sie sind verrückt! Wirklich, Sie sind vollkommen verrückt!« Gregor starrte den Mann an. »Da sitzt in Genf dieser Lenin – heißt er so? –, bildet ein paar Fanatiker aus und glaubt, damit Rußland zu erobern! Das ist doch lächerlich, mein Herr! Ich habe jetzt knapp drei Wochen auf Trasnakoje gelebt, ich bin mit den Bauern zur Jagd gegangen, ich habe mit ihnen getrunken und gefeiert – nicht einer hat sich beklagt –!«
    »Weil Sie zu den Michejews gehören! Aber ich höre anderes …«
    »In St. Petersburg komme ich oft genug mit Arbeitern und Handwerkern zusammen. Kein Hauch von Revolution!«
    »Weil Sie der Offizier einer fremden Macht sind. Aber haben Sie schon einmal die heimlichen Versammlungen in den Hinterzimmern der Gasthöfe besucht?«
    »Die gibt es wirklich?«
    »Es vergeht kein Tag in den Städten, an dem nicht eine Versammlung abgehalten würde! Gehen Sie einmal in einen

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