Liebe in St. Petersburg
zweifeln?«
»Puttlach …« Der Oberst fiel in einen väterlichen Ton. »Schnarren wir uns doch nicht so an. Das Problem ist dafür viel zu heiß.«
»Ich sehe kein Problem darin, daß ein deutscher Offizier eine russische Adelige heiratet …«
»Mein Gott, nein! Das ist es nicht. Puttlach, stellen Sie sich doch nicht so dumm. Sie sind mein intelligentester Offizier! Ihre Naivität nimmt Ihnen keiner ab! Grazina ist die Tochter des Generals Michejew. Dieser aber hat eine Schlüsselstellung innerhalb des russischen Generalstabs! Was hinter verschlossenen Türen geredet wird, weiß Michejew bis ins Detail! Und in diese Familie, eine der angesehensten ganz Rußlands, kommt jetzt ein deutscher Offizier! Wie verhält er sich? Wird er aus Liebe zum Russen – oder bleibt er Deutscher mit seinem ganzen Herzen?«
»Welche Frage, Herr Oberst!«
»Jawohl, welche Frage! Aber ihre Beantwortung ist schicksalsentscheidend! Die Umarmung einer Frau hat schon Weltreiche zerstört.«
»Ich bin und bleibe Deutscher!« sagte Gregor laut. »Das ist doch selbstverständlich. Was ich auf dem Rückweg von Trasnakoje erlebt habe, bestärkt mich darin! Wir sind einem Transport von nach Sibirien Verbannten begegnet!«
»Das sind innerrussische Angelegenheiten«, sagte von Semrock verschlossen. »Hoffentlich haben Sie keine Kommentare abgegeben …«
»Es ist eine menschliche Angelegenheit, eine abscheuliche Mißachtung der primitivsten Menschenrechte!« Gregor schlug die Hacken zusammen, als mache er eine offizielle Meldung. »Ich habe keine Kommentare abgegeben; ich habe mit Luschek, meinem Burschen, den Damen Michejew und anderen Reisenden den Verbannten zu essen und zu trinken gegeben!«
»Was haben Sie …?« Von Semrock zuckte vom Stuhl hoch und umklammerte die Schreibtischkante. »Gregor, sind Sie völlig übergeschnappt? Und die begleitenden Kosaken?«
»Sie wurden – isoliert«, sagte Gregor vorsichtig. Aber der Oberst verstand es richtig. Er wischte sich über die Stirn.
»Hat es Tote oder Verwundete gegeben?«
»Der Befehlshaber des Transports, ein Major Schukow, war so klug, auf jede Gegenwehr zu verzichten.«
»Und General Michejew?«
»War entsetzt, hat sich für uns alle entschuldigt, und spricht seitdem kaum ein Wort mehr mit mir!«
»Das heißt: Ihre Verlobung platzt!«
»Im Gegenteil – sie wird im Mai gefeiert.«
»Auch gegen den Willen des Generals?«
»Wenn es sein muß – ja! Die Damen sind auf meiner Seite.«
»Die Damen sind immer auf Ihrer Seite!« bellte von Semrock. »Das kenne ich nicht anders. Eine Hausrevolution bei den Michejews, ausgelöst durch einen meiner Offiziere! Puttlach, Sie bringen mich noch zum Schlaganfall! Die Ehe der Michejewa ist also kaputt?«
»Ich fürchte – ja!«
»Durch Sie? Mein Gott, was haben Sie bloß an sich, daß die Frauen vor Ihnen auf den Teppich sinken?«
»Ich hatte den Eindruck«, antwortete Gregor steif, »daß die Ehe der Michejews schon vorher unter mir unbekannten Belastungen stand.«
»Und Sie werden Comtesse Grazina auf jeden Fall heiraten?«
»Auf jeden Fall!«
»Das genügt!« Semrock ließ sich in einen Sessel fallen. »Puttlach, Sie erlösen mich von einem bösen Druck! Wenn Ihr Verhältnis zu General Michejew nur noch eine Angelegenheit kalter, unverbindlicher Höflichkeit ist, entfällt natürlich jeder nähere Kontakt zu ihm.«
»So ist es, Herr Oberst.«
»Ich werde das nach Berlin melden. Sie können gehen, Herr Oberleutnant. Betrachten Sie sich ab sofort in unserer Botschaft als Maskottchen für die angenehmen Seiten des Petersburger Lebens – zu mehr kann ich Sie nicht einsetzen!« Der Oberst stützte das Kinn auf die hochgestellten Fäuste. »Glauben Sie, daß die Sache mit den Sträflingen noch ein Nachspiel haben wird?«
»Nein. Dazu hat sich die Familie Michejew zu sehr bei dieser Affäre engagiert. Es ist ja zum offenen Bruch zwischen Anna Petrowna und dem General gekommen.«
»Prost Mahlzeit!« Semrock winkte ab, als serviere man ihm einen stinkenden Fisch. »Und Sie glauben noch an eine Heirat? Sie sind wirklich ein Optimist, Herr von Puttlach!«
Im Flur wartete Hauptmann von Eimmen, als Gregor aus dem Zimmer des Obersten kam. Er ging ihm voraus in das prunkvolle große Treppenhaus und hielt ihn dort an. »Na, was hat's gegeben?« fragte er.
»Nichts! Oder doch: Ich bin ein arbeitsloser Uniformträger. Ein Name in der Personalliste, ohne jede dienstliche Funktion. Ich werde fürs Nichtstun bezahlt.«
»Soviel Glück ist
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