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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sollen!«
    »Das wäre jedenfalls humaner gewesen als das hier!« Gregor war mit einem Sack auf dem Rücken herangekommen und setzte ihn ab. Ein Reisender – seinen Namen kannte keiner, er war einer von den vielen, die sich ins Übernachtungsbuch des Postmeisters eintrugen und am nächsten Morgen in der Weite des Landes verschwanden – hatte diesen Sack in einem Vorratsraum entdeckt und hinausgeschleppt. Brot war darin, Brot, das man vor drei Tagen gebacken hatte. Es duftete durch den Sack; Lepkejew war früher, vor seiner Anstellung als Postmeister, ein guter Bäcker gewesen. Beamter sein ist sicherer, hatte sich Lepkejew gesagt, als nach Mißernten dem Mehl nachzujagen. So gab er vor zehn Jahren den Beruf auf. Seitdem bekam er pünktlich sein Gehalt, hatte genug zu essen und verdiente zusätzlich gut an den Bestechungsgeldern, die ihm reiche Reisende in die Hand drückten, wenn sie vor anderen Reisenden frische Pferde für ihre Kutschen haben wollten.
    Als Gregor den ersten Laib herausholte und in große Stücke brach, ging ein dumpfes Stöhnen durch die Masse der Sträflinge. Heißes Wasser, dampfende Kohlsuppe und nun auch noch frisches Brot … Waren die Engel vom Himmel gestiegen?
    Michejew wandte sich ab. Er sah die Aussichtslosigkeit, seine Frau und Grazina hier wegzuholen, ein. Das Klirren der Ketten, die Rufe und der Gesang machten es unmöglich, sich zu verständigen. Eine Wand aus lebenden Leibern wuchs vor ihm auf, Wogen von ausgestreckten Händen drängten auf ihn zu …
    »Brot! Brot! Brot! Duftendes Brot! Für jeden einen Mund voll, Gott ist heute bei uns, Brüder!«
    »Anstellen! Nebeneinander!« rief neben Gregor der wildbärtige Jerschow. Er dirigierte die wogende Menge. »Jeder bekommt ein Stück! Wer zweimal an mir vorbeigeht, wird erschossen! Genossen, seid ein Vorbild!«
    Luschek stand neben Gregor, holte die Brote aus dem Sack, zerbrach sie und reichte die Stücke an Jerschow weiter. Daneben teilten Anna Petrowna und Grazina die letzte Suppe aus. Vom Hauptgebäude der Posthalterei schleppten zwei Reisende einen neuen Kessel mit heißem Wasser heran.
    »Sehen Sie«, sagte Jerschow zu Gregor, als sie eine Pause einlegten, »das ist die neue Zeit!«
    »Wie ich sehe, geht Ihre neue Zeit in Ketten und hat wenig Chancen, zu überleben.«
    »Heute noch, Herr von Puttlach. Aber was hier – in dieser Nacht – geschieht, ist doch ein Zeichen! Sie, Ihr Bursche, die adeligen Damen, die anderen Reisenden, sie haben uns geholfen! Und es werden von Tag zu Tag mehr werden, die auf unserer Seite stehen.«
    »Ich habe geholfen, weil es Menschen sind, nicht aus politischen Motiven!«
    »Und doch ist der Bolschewismus nicht aufzuhalten! Glauben Sie es mir! Lenins Erkenntnisse sind die in Wahrheit umgesetzten Träume aller Völker!«
    »Ich würde mich nicht so bedingungslos an Lenin hängen, Iwan Iwanowitsch. Lenin wird gehen – aber der Zar wird bleiben! Genau wie unser deutscher Kaiser!«
    »Die Monarchie ist faul, Gregorij! In fünfzig Jahren werden die Kaiser und Könige – wenn es sie überhaupt noch gibt – nur noch Puppen sein. Repräsentanten, die sich ein Volk aus einer liebgewordenen romantischen Laune heraus leistet. Die Politik aber, das Schicksal der Völker, wird vom Volk bestimmt werden!«
    »Diesen Ruf habe ich in Deutschland auch schon einmal gehört.« Gregor lächelte fast mitleidig. »Er hat keine Zukunft, Iwan Iwanowitsch. Ein Volk will Ruhe, aber keine Revolution!«
    »Aber es gibt Hungernde …«
    »Und die machen dann ihre Revolution, zerschlagen das Alte, bauen das Neue auf – und nicht lange darauf werden auch die Revolutionäre satt. Was dann?«
    Jerschow winkte ab und begann wieder die Brotstücke zu verteilen, die ihm Luschek anreichte. »Sie werden uns nie verstehen, Gregorij«, sagte er dabei. »Sie haben noch nie um ein Stück Brot betteln müssen. Nur eins noch …« Er sah Gregor nachdenklich an. »Wenn Sie in die Familie Michejew einheiraten und einmal der Herr auf Trasnakoje sind, wird es sich nicht vermeiden lassen, daß im Fall einer Revolution auch Sie verhaftet werden. Dann nennen Sie meinen Namen …«
    »Das haben Sie mir schon einmal angeboten.«
    »Sie haben durch diese Nacht einen großen Kredit bei uns, Herr von Puttlach, Sie und die Damen Michejew. Trotzdem sollten Sie meinen Rat befolgen: Nehmen Sie Grazina Wladimirowna mit nach Deutschland!«
    Er wandte sich ab, und Gregor ging zu Grazina und Anna Petrowna. Sie hatten den neuen Kessel mit heißem Wasser an

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