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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Seit Kriegsausbruch ziehen Horden von Plünderern herum und überfallen die von den Männern verlassenen Gehöfte, stehlen Fleisch, Speck und Schinken – und das alles im Namen des Zaren! Sie nennen sich ›Requisiteure für den Notfall‹. Natürlich eine glatte Ironie!«
    Gregor kam heran. Luschek rührte verzweifelt in der Gulaschsuppe, die angebrannt war, und Telbonkin machte nun auch vor Gregor eine Verbeugung. Sein weißes Haar leuchtete im Feuerschein.
    »Nun habe ich beschlossen, mich zu wehren«, sagte er. »Ich jammere nicht wie die Weiber, ich schieße zuerst. Obwohl es mein Beruf ist, nicht zu töten, sondern – im Gegenteil – Leben zu retten.« Er machte eine Pause. »Ich bin Arzt.«
    »Wasja Mironowitsch Telbonkin«, sagte Grazina gedehnt und dachte nach. »Mir ist, als hätte ich den Namen schon gehört. Aber ich weiß nicht mehr, wo.«
    »Sie werden ihn in Petersburg gehört haben, Comtesse.« Telbonkin strich sich die Haare aus dem faltigen Gesicht. Es war die Landschaft eines harten, von tausend Erlebnissen geprägten Lebens. »Ich habe einmal in St. Petersburg versucht, einen Brustkorb zu öffnen und ein Herz zu operieren. Der Patient überlebte sechs Tage – bedenken Sie, sechs Tage! Dann starb er an einer Blutvergiftung. Aber mir wurde gesagt: Du hast ihn ermordet! Am offenen Herzen operieren – das heißt Gott versuchen! Man jagte mich weg. Dabei starb der Patient nur, weil in dem Hospital mehr Dreck lag als Mullbinden. Aber wer will das schon wahrhaben? Ich bin dann Landarzt geworden, mit der Kutsche unterwegs von Dorf zu Dorf. Ich bin der einzige Arzt im ganzen Umkreis.« Er räusperte sich wieder. »In diesem Zusammenhang werden Sie von mir gehört haben, Comtesse.«
    »Ich glaube, ja.« Grazina schloß die Augen. Erschöpfung fiel wieder über sie wie ein graues schweres Tuch. Telbonkin wandte sich an Gregor.
    »Sie sind alle am Ende Ihrer Kräfte, wie ich sehe.«
    »Wir sind ohne Unterbrechung seit dem Morgengrauen geritten …«
    »An einem Tag von Petersburg bis hier?«
    »Ja.«
    »Unmöglich.«
    »Es war möglich. Wir wurden von zehn Kosaken und zwölf Offizieren verfolgt …«
    »Weil Sie deutscher Offizier sind und Rußland Krieg mit Deutschland hat? Ein Wahnsinn! Wer soll den Krieg gewinnen? Die Russen? Nie! Die Deutschen etwa? Hat denn keiner auf die Landkarte geblickt? Ein Land, so groß wie eine Haselnuß!« Telbonkin tippte gegen seine Stirn. »Was haben die großen Herren bloß in ihren Köpfen? Gehirne? Als Mediziner muß ich das bezweifeln!« Er warf sein Gewehr über die Schulter und schnupperte. »Die Suppe ist angebrannt – durch meine Schuld! Darf ich Sie deshalb in mein Haus einladen? Ich kann Ihnen Blinis anbieten und eine Suppe aus Sauerampfer. Sehr erfrischend, sehr gesund! Mein Haus liegt kaum eine Werst entfernt …«
    »Ich glaube kaum, daß wir es erreichen werden.« Gregor machte ein paar unsichere Schritte. »Wir haben uns wund geritten und kommen auf kein Pferd mehr hinauf.«
    »Das ist jetzt eine ärztliche Angelegenheit!« Telbonkin pfiff durch die Zähne. Aus der Dunkelheit des Waldes löste sich ein massiver Schatten, den bisher niemand bemerkt hatte. Es war ein riesiges, kräftiges Pferd mit einem seidigen schwarzen Fell und einem rautenförmigen weißen Fleck zwischen den Augen. Um in den Sattel zu kommen, mußte man ein Artist sein oder springen können wie ein Gummiball. Anscheinend gelang es aber Telbonkin immer wieder.
    »Das ist ›Tolstoi‹, meine Lieben«, sagte er. »Auf seinem Sattel sitzen Sie wie in einem Fauteuil. Wenn wir die Kraft haben, die Comtesse emporzuheben? Wir Männer werden doch stark genug sein, eine Werst zu Fuß zu laufen.«
    Grazina lehnte sich gegen Gregor. »Ich werde bestimmt aus dem Sattel fallen«, sagte sie müde.
    »Versuchen Sie es, Comtesse.«
    Sie hoben Grazina in den großen Sattel und hielten sie fest. Tschugarin wankte zu den anderen Pferden, band sie zusammen und legte ihnen die Sättel lose auf die Rücken. Luschek zertrat das Feuer, schüttete die angebrannte Suppe fort und goß Wasser über das eiserne Dreibein, damit es abkühlte und man es wieder auf ein Pferd binden konnte. »Werkzeug ist das wichtigste!« sagte er zu Tschugarin, der ihn nicht verstand, aber beifällig nickte. »Ohne Werkzeug biste 'ne arme Sau!«
    Es war ein mühsamer Weg. Gregor ging neben Tolstoi und hielt Grazina fest, die in dem großen Sattel schwankte. Telbonkin ging voraus. Tschugarin und Luschek folgten mit den erschöpften

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