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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vernichten.

XI
    Wer ist schon einmal zehn Stunden geritten, ohne aus dem Sattel zu steigen? Die Hölle ist es, selbst für so trainierte Reiter wie Grazina und Gregor. Im Sattel aßen sie trockenes Brot und Blockkäse, tranken ein paar Schlucke aus den Feldflaschen, und wenn die Pferde einmal zitternd vor Erschöpfung in einem Flußlauf standen, dann beugten sich auch Gregor, Grazina, Luschek und Tschugarin hinunter und schöpften mit beiden Händen Wasser, schütteten es über ihre Köpfe und hörten nicht eher auf, als bis sie völlig durchnäßt waren.
    Wasser! O wie herrlich ist Wasser! Es ist, als ob Gott neuen Atem in den Menschen bläst.
    Am Abend rutschten sie von den Pferden und klammerten sich am Sattelgurt fest, um nicht umzusinken. Gregor umfaßte Grazina und stützte sie. Sie konnte kaum noch laufen und war zu Tode erschöpft.
    Dann lagen sie in einem lichten Wald auf dem weichen Boden, lang ausgestreckt, ohne sich zu rühren. Man dachte: Jetzt stirbst du vor Erschöpfung. Wie herrlich ist das! Warum weiß kein Mensch, wie schön ein Tod durch Erschöpfung wäre? Wie auf Wolken schwebt man dahin …
    Luschek war der erste, der wieder auf die Beine kam. Er kroch zu den Packpferden, zog sich an dem ersten hoch und begann, die Pakete abzuschnallen. Ein Zelt, einen Kochtopf, einen Dreifuß für das offene Feuer, einen Sack mit Verpflegung. Dann schwankte er zu den Reitpferden, löste ihnen die Sattelgurte und ließ die Sättel einfach zu Boden gleiten.
    Kurz darauf kam Tschugarin Luschek zu Hilfe, breitbeinig tapsend und bei jedem Schritt stöhnend.
    »O Mutter Gottes!« sagte er, als er neben Luschek stand. »Ich war immer ein braver Mensch, laß mir eine Hornhaut auf dem Hintern wachsen!«
    »Wat willste?« fragte Luschek und schnallte einen Sack mit Kissen los.
    »Du Feuer – ich schleppen!« sagte Tschugarin in mühevollem Deutsch. »Alles Scheiße!« Tschugarin grinste. »Gutt so?«
    »Sehr gut! Damit kommste überall weiter. Ick lern dir noch 'n paar Sachen …«
    »Dieses Tempo halten wir nicht durch«, sagte Grazina. Sie lag noch immer auf dem Rücken, hatte die Augen geschlossen und atmete ganz flach. Gregor hatte sich über sie gebeugt. Er hatte ihr die Bluse geöffnet, die verschwitzten Haare aus dem Gesicht gestrichen und öffnete jetzt den Gürtel und Hosenbund. »Grischa, wir bringen uns um damit …«
    »Wir haben einen guten Vorsprung gewonnen, Grazinanka. Bis zum Ural wird es hart werden, aber dann haben wir die größte Gefahr hinter uns.« Er ließ sich auf den weichen Waldboden zurückfallen und starrte in das dichte Blätterdach über sich. Der Abend war schnell gekommen, es wurde von Minute zu Minute dunkler. Der Wald war kühl, aber die Erde noch warm. »Am schwierigsten wird es im Permer Land. Viele Städte und Dörfer, viel Militär …«
    »Aber wir müssen durch, nicht wahr?« fragte sie und rührte sich nicht. Ein Stück von ihnen entfernt prasselte jetzt ein Feuer. Tschugarin hatte Holz gesammelt, und Luschek hatte den Dreifuß mit dem Kochtopf darübergesetzt.
    »Es wäre alles so einfach«, sagte Gregor und streichelte Grazinas schlaffe Hand. »Von Perm fährt ein Dampfzug nach Tjumen. Mit Erster-Klasse-Waggons, in denen die Generäle und die hohen Beamten reisen, und die Damen deines Standes …«
    »Meines Standes … Ich bin jetzt weniger als eine Haselmaus. Alle Züge werden kontrolliert.«
    »Das ist es ja. Überall wird Militär auf den Bahnhöfen sein. Überall wird man sich ausweisen müssen. Grazina, es gibt nur den Weg durch die Einsamkeit. Ich nehme an, daß jetzt bereits alle Dienststellen im Lande per Telefon oder Telegraf benachrichtigt sind, daß wir auf der Flucht sind. Ein deutscher Spion, ein deutscher Gardeoffizier mitten unter uns, wird es heißen, und man wird Jagd auf uns machen.« Er beugte sich wieder über Grazina und küßte ihre fest zusammengepreßten Lippen. Sie atmete tief.
    »Wenn das Kraft gibt, dann küß mich ununterbrochen, Grischa«, flüsterte sie.
    »Morgen reiten wir nur acht Stunden«, sagte Gregor und blickte hinüber zu Luschek und Tschugarin. Sie hatten das Feuer gut zum Brennen gebracht und öffneten jetzt mit einem Seitengewehr eine Dose Fleisch. »Oder zehn Stunden …«
    »Es wird sein wie heute, Grischa.« Grazina hielt Gregor fest, als er aufstehen wollte. »Belüge mich doch nicht. Wo willst du hin? Hier riecht es nach Feuer. Grischa, wo brennt es?«
    »Das ist unser Lagerfeuer. Gleich gibt es, wie ich sehen kann, eine

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