Liebe in St. Petersburg
Fleischsuppe.«
Er stand auf und ging mühsam zum Lagerfeuer.
Luschek straffte sich, als er seinen Oberleutnant kommen sah. »In einer Viertelstunde jibt's Essen, Herr Oberleutnant!« meldete er.
»Wo nehmen Sie bloß die Kraft her, Luschek?« fragte Gregor.
»Ick denk mir, ick bin aufm Weg nach Berlin!« sagte Luschek und rührte in der Suppe. Tschugarin legte neues Holz in das Feuer. »Mit kleinen Umwegen zwar, aber det schadet nichts. Ick weiß, ick komme einmal an! Det jibt Kraft, Herr Oberleutnant!«
Die Nacht war jetzt vollends hereingebrochen. Der Mond schien, aber unter dem dichten Blätterdach war es finster. Nur der Feuerschein gab ein paar Meter Sicht frei.
Plötzlich stutzte Tschugarin. Er hatte ein Geräusch gehört. Er war im Wald aufgewachsen, hatte bei seinem Vater Holz gefahren, bis er die Ehre hatte, bei dem Grafen Kutscher zu werden. Er kannte alle Geräusche, und nun hatte sein Ohr einen Ton vernommen, der weder in den Wald noch zu der Nacht paßte.
»Euer Hochwohlgeboren, zurück vom Feuer!« rief er. »In die Dunkelheit! Schnell, schnell …«
»Bleibt stehen, ihr verdammten Brüderchen!« sagte da eine Stimme aus dem Dunkel jenseits des Feuerscheins. »Rührt euch nicht, ich habe eine Flinte. Hebt die Hände und geht nahe an das Feuer, damit ich euch Galgenvögel betrachten kann. Drei Strolche mit einer Menge Pferde! Gestohlen, was? Noch näher zum Feuer, Brüderchen!«
Ganz langsam gingen Luschek, Tschugarin und Gregor auf das Feuer zu, die Hände über dem Kopf erhoben. Dabei blickten sie zu der Stelle, woher die Stimme aus der Dunkelheit kam. Sie sahen nichts, aber sie dachten alle mit kalter Angst das gleiche: Nur ein kleines Stück weiter liegt Grazina auf dem Boden.
Wenn der Unbekannte sie sieht, wird er denken, sie verstecke sich, und wird schießen. Die Angst um Grazina ließ ihnen den Schweiß aus allen Poren brechen.
Der Unbekannte in dem Dunkel lachte leise. »Hofft nicht auf das junge Bürschchen im Gras. Ich habe es längst gesehen! Wenn der Bursche klug ist, bleibt er still liegen und rührt sich nicht. O ihr Gesindel! Krieg ist, und ihr glaubt, das sei ein Signal, plündernd und räubernd herumzuziehen und sich zu bereichern. Nicht bei mir, ihr Halunken! Man wird euch aufknüpfen, Brüderchen …«
»Ich glaube, Sie irren sich!« sagte Gregor. Er sprach das gepflegte Hochrussisch, ohne Dialekt, so wie es im Baltikum immer gesprochen wurde. »Sie verwechseln uns oder sehen uns völlig falsch.«
Der Mann im Dunkeln pfiff durch die Zähne. »Du hast ja Manieren, du Gauner! Nennst mich ›Sie‹ und sprichst wie ein Professor. Wo kommt ihr her? Und wer seid ihr?«
»Aus St. Petersburg!« antwortete Tschugarin, der Leibkutscher. »Und wer wir sind? Du wirst auf die Knie fallen, wenn du unsere Namen hörst.«
»Ich falle nur vor Gott auf die Knie. Aber gut, ich will nicht schießen, bevor ich mich vorgestellt habe. Ich bin Wasja Mironowitsch Telbonkin. Ihr steht in meinem Wald, auf meinem Grund …«
»Wir sind nur auf der Durchreise, Wasja Mironowitsch«, sagte Gregor. »Wenn Sie erlauben, daß wir die Hände herunternehmen und uns wie gesittete Menschen unterhalten, läßt sich vieles klären.«
»Erst eure Namen!«
Gregor zögerte. Sollte er die Wahrheit sagen? Grazina nahm ihm die Entscheidung ab. Ihre helle Stimme tönte aus dem Halbdunkel. »Legen Sie das Gewehr hin, Wasja Mironowitsch«, sagte sie laut. »Ich bin Grazina Wladimirowna Michejewa, die Tochter des Generals Michejew.«
»Und ich heiße Gregor von Puttlach; ich bin Oberleutnant der deutschen Garde-Ulanen. Neben mir steht mein Bursche Luschek, und das da ist Tschugarin, der Leibkutscher des Grafen.«
Einen Augenblick war es völlig still, nur das Holz in den Flammen prasselte leise. Dann räusperte sich Telbonkin. »Sieh an, sieh an«, sagte er gedehnt. »Zwei Hochwohlgeborene! Und ziehen durchs Land wie Halunken. Wer soll's glauben?«
Er trat in den Feuerschein und man sah einen kleinen, krummbeinigen weißhaarigen Kerl in schwarzer Hose und einem schwarzen Rock, der einem Gehrock glich. Das Gewehr hielt er weiter im Anschlag. Er wandte sich erst Grazina zu, die noch immer auf dem Waldboden lag, beugte sich über sie und hielt dabei den Gewehrlauf gegen ihre Schläfe. Er betrachtete sie, ließ dann die Waffe sinken, und eine starke Veränderung ging in ihm vor. Er verbeugte sich tief und schob das Gewehr hinter seinen Rücken.
»Wer kann so etwas im voraus wissen, Comtesse!« sagte er höflich.
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