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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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badend, blieben dann meistens schon an der Tür stehen, starrten Gregor an, lasen wortlos das Attest und gaben es dann mit einem stummen Gruß des Bedauerns der Schwester zurück. Nach Ausweispapieren wurde nie mehr gefragt. Einmal wurde es kritisch, im großen Permer Bahnhof selbst. Da kontrollierte ein Hauptmann und las das Schreiben aufmerksam durch.
    »Parkinson?« fragte er und sah Gregor forschend an. »Warum bringt man ihn nicht nach Moskau?«
    »Was soll Hochwohlgeboren in Moskau?« fragte Grazina zurück. Ihr Herz schlug stark. Gregor lallte vor sich hin.
    »In Moskau gibt es die besten Kliniken. Aber der Arzt muß es ja wissen. Es war nur eine Anregung, Schwester. Gute Fahrt!«
    Seufzend lehnte sich Grazina zurück. »Ruhe!« sagte Gregor durch die noch nachzitternden Lippen. »Ganz ruhig, Liebling! Wenn wir aus Perm heraus sind, haben wir es geschafft.«
    »Überall werden Kontrollen sein!«
    »Und überall wird man Mitleid mit mir haben …«
    Spät am Abend des vierten Tages fuhren sie in Tjumen ein. Überall war Geschrei und Gedränge an den Militärsperren. Flüche ertönten und das Kreischen von Frauen, denen die Soldaten Lebensmittel aus den Körben nahmen, die schon rationalisiert waren.
    Gregor und Grazina blieben noch sitzen. Sie sahen, wie Tschugarin und Luschek zum Ausgang wankten, und waren glücklich, daß auch sie es geschafft hatten. Der Schaffner, der durch den Zug ging, schob die Tür auf und nickte. »Sie können jetzt aussteigen, Hochwohlgeboren. Gehen Sie nach links, da ist ein Privatausgang des Vorstehers. Werden Sie erwartet?«
    »Natürlich.« Grazina half Gregor aufzustehen. Er zitterte wieder erbärmlich. Der Schaffner faßte den Kranken auf der anderen Seite unter. Sie hoben ihn aus dem Waggon und schleiften ihn fast über den Bahnsteig.
    Aber da geschah etwas Unerwartetes: Aus dem Büro des Bahnhofsvorstehers traten drei Menschen, und auch hier stützten zwei einen dritten. Nur waren es zwei kräftige Bäuerinnen, und der Mann, den sie führten, trug einen kaftanähnlichen Anzug, hatte einen wilden schwarzen Bart, lange Haare und einen stechenden Blick. Eine mächtige Nase ragte aus seinem bleichen Gesicht. Die Beine steckten in derben Bauernstiefeln, und während er jetzt Schritt um Schritt vorwärtsging, stöhnte er leise und sprach abgehackt ein Gebet. Der Bahnhofsvorsteher war ihm und den Frauen nachgelaufen und rief: »Platz da! Platz da! Geht aus dem Weg, ihr Hammel!«
    Die Menschen an den Sperren sahen sich um, erkannten den Mann mit dem wilden Gesicht, bekreuzigten sich ehrfürchtig, und viele Frauen und Männer fielen auf die Knie und falteten die Hände.
    »Segne uns, Väterchen!« riefen sie. »Sieh uns an! Nenne Gott unsere Namen … Sei gütig und gib uns deinen Segen …«
    Der bärtige Mann blieb vor Grazina und Gregor stehen. Er musterte sie von den Fußspitzen bis zu den Haaren unter der Schwesternhaube. Es war ein durchdringender, fordernder, ja, fast geiler Blick, unter dem Grazina das Gefühl hatte, die Kleider fielen von ihr ab. Dann lächelte der Mann zufrieden, hob die Hand, streckte drei Finger empor und segnete Grazina. Die knienden Menschen stöhnten leise …
    »Macht den Weg frei«, sagte er zu dem Bahnhofsvorsteher und dem Schaffner, der noch immer Gregor stützte. Die Männer liefen davon, als habe es der Zar selbst befohlen, und brüllten in die Menge: »Platz da, macht eine Gasse! Väterchen wird jeden segnen, der an ihn glaubt! Macht doch Platz!«
    »Geht auch ihr!« sagte der Mann zu den Bäuerinnen, die ihn hielten. »Ich kann allein stehen!«
    Sie ließen ihn los, drückten die Schürzen gegen ihr Gesicht und rannten davon. Schwankend stand der Mann vor Gregor und Grazina und ließ seinen Blick wieder über Gregor gleiten. Feuer sprühte aus diesem Blick …
    »Was fehlt ihm?« fragte er dunkel. Grazina atmete tief auf.
    »Die Parkinsonsche Krankheit, Väterchen. Man will ihn hier heilen.«
    »Warum belügt ihr mich?« Der Mann senkte seine Stimme. »Vertraut mir. Ich sehe ihn an und weiß, daß er gesund ist. Ich spüre die Krankheiten anderer in mir selbst, wenn sie echt sind. Aber ich sehe ihn an, und es bleibt leer in mir. Doch sein Leiden ist gut gespielt …«
    »Väterchen …«, stammelte Grazina. »Verraten Sie uns nicht; bei Gottes Liebe …«
    Der Mann kam näher, ganz nahe heran. Ein widerlicher Geruch von Schweiß, Urin und Knoblauch überfiel die beiden. »Ihr kommt aus Petersburg?« Er griff in Gregors Haar und kraulte darin.

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