Liebe Isländer: Roman (German Edition)
kompliziertesten und verlangt beinahe nach einer wissenschaftlichen Behandlung. Ich hatte mich so sehr beeilt,aus der Stadt zu kommen, dass der Automechaniker keine Zeit mehr hatte, die Bremsen zu justieren, nachdem sie repariert waren. Und jetzt, einige hundert Kilometer später, bemerke ich, dass sie ungewöhnlich stark nach rechts ziehen. Und, was noch schlimmer ist: unterschiedlich stark. Ich weiß nie, was als Nächstes passiert, wenn ich hart bremse, habe aber herausgefunden, dass sich dieses Rechtsrucken vermeiden lässt, indem man einen Zentimeter auf die Bremse tritt und das Lenkrad dabei zwei Zentimeter nach links dreht, in derselben Sekunde. Wenn alle diese Maßnahmen zusammenkommen, habe ich das Gefühl, nirgendwo im Auto anstoßen zu dürfen, und versuche, gespannt aber doch schwerelos hinter dem Steuer zu sitzen. Was mir vom holprigen Weg sehr schwer gemacht wird.
Ich mache einen Stopp an der Spitze des zweiten Fjords, um Benzin nachzufüllen. In Hólmavík hatte ich einen Reservekanister gefüllt, aber jetzt bin ich gar nicht sicher, ob das reichen wird, um bis Súðavík zu kommen. Doch als ich draußen am Auto stehe, in Regen und Sturm, und den Tank fülle, ist es mir scheißegal. Wenn ich nur durch dieses aufgewühlte, graue, erdrückende, einsame Djúp komme. Wer wohnt hier freiwillig? Wovon kann man hier leben?! Wie ist es überhaupt möglich, hier zu leben! Nehme ich das alles vielleicht zu persönlich? Ich habe das Gefühl, das Djúp ist gegen mich. Höre es sagen: »Wer glaubst du zu sein, Reykjavík-Bürschchen? Glaubst du, du kommst an mir vorbei!?«
Als ich wieder ins Auto steige, fällt mein Blick auf einen Handgriff in der Mitte der Vorderfelge. Auf einmal fällt mir wieder ein, dass der Wagen Vierradantrieb hat. Was bin ich doch nur für ein Idiot. Seit meiner Flucht aus Reykjavík bin ich allein mit Hinterradantrieb gefahren und habe es mir bis jetzt nicht in den Sinn kommen lassen, auf Allradbetrieb umzuschalten. Ich drehe den Griff an beiden Felgen, schalte innen im Auto auf Allrad und fahre los.
Was für ein Unterschied. Der Wagen ist viel stabiler und verwandelt das Ísafjarðardjúp aus der reinen Hölle in eine bloße Frage von Geduld.
Bevor ich in den dritten Fjord fahre, komme ich an einem Schild vorbei: »Hier baut das Straßenamt eine neue Straße.« Grüne Arbeitsbaracken und ein verlassener gelber Bagger ducken sich unter Geröllberge. Kurz darauf komme ich auf die neue, asphaltierte Straße und düse voran, hinein in den dritten Fjord in der Hoffnung, der Rest der Strecke sei asphaltiert. Aber nein. Nur das, was »asphaltierter Abschnitt« genannt wird, und der endet kurz darauf schon wieder. Es ist etwas Falsches an »asphaltierten Abschnitten«. Ganz besonders an diesem. So als ob verhindert werden soll, dass man umkehrt, man weiter gelockt werden soll. Warum ist ausgerechnet dieser Teil des Weges asphaltiert? Hier ist nichts drum herum. Linker Hand eine nackte Bergkette. Das Meer zur Rechten. So war es während der letzten Stunden, und so wird es mit Sicherheit weitergehen. Bevor ich die asphaltierte Strecke erreichte, hatte ich mich an das Schütteln und Rütteln gewöhnt, und nun muss ich mich wieder umstellen. Die machen das nur, um einen zu schikanieren und daran zu erinnern, wie angenehm es ist, auf Asphalt zu fahren. Außer, das Straßenamt wollte auf seine großen Verdienste aufmerksam machen, die es sich im ganzen Land erworben hat.
Kurz darauf komme ich an eine starke Steigung. Eine höllisch steile, dazu noch einige hundert Meter lang. Der Weg eine einzige Eisfläche, begrenzt von den Seitenrändern, und rechts geht es dreißig, vierzig Meter tief direkt hinunter ins Meer. Ich bin inzwischen so geladen, dass ich ohne zu zögern auf die linke Straßenseite hinüberschwenke und das Tempo erhöhe. Als der Wagen zwei Drittel der Steigung geschafft hat, beginnen die Räder durchzudrehen.
Mir wurde beigebracht, wenn so etwas vorkommt, wäre der Trick, zu warten, bis das Auto stoppt. Und die eine Sekunde zu nutzen, in der der Wagen stillsteht, um in den Rückwärtsgang zu schalten, bevor er beginnt, rückwärts zu rollen. Ihn dann mit Hilfe des Rückwärtsgangs den Weg hinunter zu dirigieren und auf keinen Fall auf die Bremse zu steigen. Weil er sich dann drehen und Gott weiß wo landen könnte.
Ich ziehe etwas mehr zum Straßenrand hinüber, aber die Räder drehen weiter durch, und der Jeep verliert langsam, aber sicher an Fahrt. Wenn ich noch weiter zur Seite
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