Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Wohnzimmerfenster die beleuchteten Lastwagen an der Blönduhlíð entlangbrausen sehen konnte, vorbei an Alma auf dem Sofa, den braunen Wohnzimmertischentlang, unter Simmis Lazyboy-Sessel hindurch und von dort quer über mich hinweg, der ich auf dem Boden lag.
Der Fernseher wurde auf dem Bauernhof wie ein Kamin genutzt. Als etwas, um sich darum zu versammeln und mit einem Auge zu verfolgen. Wenn es im Fernsehen nicht gerade Nachrichten oder den Wetterbericht gab, bekam niemand mit, was auf dem Bildschirm ablief. Der einschläfernde Lichtwechsel und das Knallen von Gewehren traten an die Stelle von Prasseln und anheimelnden Flammen.
Als ich den Eheleuten von den fürchterlichen Gefahren und Zerreißproben berichtet hatte, die ich unterwegs hatte durchstehen müssen, übernahmen die beiden und erzählten vom Land und seinen Bewohnern. So wechselten wir uns mit Geschichten ab und schüttelten den gut fünfzigjährigen Staub von der alten Stimmung, die damals an den Abenden in den Badstuben, dem Wohnmittelpunkt der isländischen Häuser, lebte. Ich, angefüllt mit jenem unterhaltsamen, doch leider aussterbenden Phänomen, mit Neuigkeiten, hatte die Rolle des Landstreichers inne. Der Unterschied zwischen Neuigkeiten und Nachrichten ist enorm. Nachrichten haben genauso wenig eine Seele wie die Mahlzeiten in den Straßenkiosken, Neuigkeiten aber sind wie ein gutes, geschmackreiches Essen. Ja, geschmackreich, nicht unbedingt kräftig. Es ist mehr Fülle in allem, und Milde. Der Geschmacksreichtum macht genau den Unterschied einerseits zwischen gekauftem und selbst zubereitetem Essen und andererseits zwischen Nachrichten und Neuigkeiten aus. Stets und ständig werden einem Nachrichten verkauft, aber immer seltener und seltener werden einem Neuigkeiten berichtet.
An den Abenden, an denen ich den Berichten von Alma und Simmi lauschte, wurde die Gegend lebendig. Im Geiste sah ich die Bewohner der Gehöfte im alten Bezirk Lýtingsstaðahreppur hinaus auf den Hofplatz kommen, einen nach dem anderen, winken und sich dann die Hände geben. Die Leute aus einer Gegend waren wie eine Gruppe von Geschwistern. Bald nervig, witzig, missgünstig, hilfsbereit, bald unerträglich; und jeder beim anderen mit einem Fuß in der Tür. Vielevon ihnen arbeiteten wechselseitig füreinander, und selbst wenn nicht, mussten sie zusammenhalten, ob sie wollten oder nicht. Gegen die Wetter, gegen andere Geschwistergruppen und gegen all das, was es mit sich brachte, auf dem Land zu leben.
Wenn die Bewohner einer Gegend nicht zu sehr mit dem Zusammenhalt beschäftigt waren, trugen sie das Ihre dazu bei, die Redensart am Leben zu erhalten: Der Mensch ist des Menschen Pläsier. Ich hörte Geschichten von klugen Bauern, geschickten Handwerkern, weitsichtigen Pferdehändlern, von Faulpelzen, Geizkragen und von einer liebestollen Frau. Jede Person war so lebendig, dass man sie sogar riechen konnte. Alles war neu. Alles war wichtig. Alles ging die Leute etwas an. Selbst winzigste Details hatten ein Gewicht.
Eines Abends, als wir vor dem Kaminseher saßen, rief ein angetrunkener Nachbar an und bat darum, dass entweder Simmi oder Alma ihn mal eben die vierzig Kilometer nach Sauðárkrókur kutschierte. In einem der Lokale dort sollte nämlich am Abend ein Stripper auftreten. In Reykjavík hätte man dem Anrufer geraten, ein Taxi zu nehmen, und dann aufgelegt, aber auf dem Land verhielt sich die Sache etwas komplizierter. Irgendwann würde das Ehepaar bestimmt auch mal ein Glas trinken, und dann bräuchten sie selbst jemanden, der sie nach Sauðárkrókur fuhr. Was sollten sie also tun? Ihn rumfahren oder es riskieren und hoffen, dass Schnee über das Nein gefallen wäre, wenn sie selbst das nächste Mal eine Fahrgelegenheit bräuchten? Möglicherweise könnte er es durch den ganzen Bezirk posaunen, dass die Leute auf Héraðsdalur II nie jemanden irgendwohin fahren wollten, und das könnte zukünftige Vergnügungstransporte erheblich beeinträchtigen. So dauerte es denn eine Stunde, den Mann am Telefon abzuwimmeln. Zuerst musste erläutert werden, dass es dem Paar äußerst ungelegen käme, jetzt wegzufahren, da die Familie gerade Besuch im Hause habe. Dann musste dem Anrufer klargemacht werden, wer der Gast war, womit dieser beschäftigt sei, und natürlich musste mit ihm ein wenig über das Wetter und das Woher und Wohin geplaudert werden. Nur auf diese Weise gelang es, ihn weiter wohlgesinnt zu halten.
Am Tag darauf wurde dieses Telefongespräch zu einer
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