Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Geschichte, die Alma ihren Kolleginnen in der Pelzbearbeitung erzählte. Alles war neu. Es waren viele – die Geschichten, die ich vor dem Kaminseher hörte, aber ich will mich damit begnügen, die wiederzugeben, die in der Familie am beliebtesten war. Darüber hinaus hörte ich sie auch aus erster Hand und weiß daher, dass sie wahr ist. Die Geschichte von einem Mann, der beinah für seinen Mazda gestorben wäre.
Alma hatte es übernommen, den Landarbeiter von Héraðsdalur II und seinen Freund in dem neuen Toyota des einen zu chauffieren; sie befanden sich auf einer sogenannten »Landsauftour«. Dabei ziehen die Leute nicht zwischen den Bars umher, sondern bewegen irgendjemanden dazu, sie zwischen den Höfen umherzufahren, wo sie jedoch unterschiedlich gern willkommen sind. In der Nacht, als sie sich auf dem Heimweg befanden und die beiden Männer ordentlich betrunken waren, strich der Besitzer des Wagens über das Armaturenbrett und sagte stolz, dass niemand schneller fahren könne als er mit seinem Toyota. Der andere sah das nicht so und sagte, dass er ihn in einem Spurt überholen könnte mit seinem Mazda. Das gefiel dem Toyota-Besitzer gar nicht, und er herrschte den Mazda-Mann an, das Maul zu halten. Doch der Mazda-Mann gab nicht nach, und über kurz oder lang brach ein böser Streit aus. Bald wurde es bei der Lärmerei schwierig für Alma, den Wagen zu steuern, und sie forderte die beiden auf, entweder das Maul zu halten oder sich außerhalb des Wagens weiter zu schlagen. Und der Mazda-Mann forderte den Toyota-Besitzer tatsächlich zum Duell heraus.
Sie prügelten sich am Straßenrand, und am Ende war es der Mazda-Mann, der den Toyota-Typen besiegte. Nach dem Kampf setzte sich Ersterer auf einen Stein, betrunken und todmüde, während der andere sich wieder hinten ins Auto pflanzte und Alma anwies, loszufahren. Der Mazda-Idiot solle nicht mit. Alma versuchte ihn umzustimmen und wies darauf hin, dass es zehn Grad Frost und mehrere Kilometer bis zum nächsten Hof seien. Er würde erfrieren, wenn er nicht mitkäme. Der Toyota-Typ gab nicht nach, und der Mazda-Mann rief draußen indie Dunkelheit, dass er nie im Leben wieder in einen Toyota steigen würde. Alma musste also mit dem Toyota-Typen im Auto losfahren, und der Mazda-Mann blieb auf dem Stein sitzend zurück. Nachdem sie ihn nach Hause gefahren hatte, voller Sorge, dass der andere sich den Tod holen würde, fuhr sie schnurstracks zu sich nach Hause, wechselte das Auto und fuhr dem Mazda-Mann entgegen. Als sie kurze Zeit später bei ihm ankam, versuchte der gerade sich auf der vereisten Straße warmzulaufen. Alle, die das schon einmal versucht haben, wissen, wie schwierig es ist, betrunken auf Glatteis zu laufen, und Alma erkannte sofort, dass die Situation äußerst kritisch war. Was dem Mazda-Mann das Leben gerettet hat, war die gute Heizung im Auto. Er konnte den Mund direkt vor das Gebläse legen und sich so sofort innerlich aufheizen. Und so endete schließlich alles gut.
Diese Geschichte war noch lange Zeit das Kino der Region, und sie wurde umso abenteuerlicher, je öfter sie erzählt wurde. Hier wurde jedoch die Originalversion wiedergegeben. Nachdem Alma die Geschichte vorgetragen hatte, wurden die Einzelheiten diskutiert und ausgewertet. Da wurde spekuliert, wie das Rennen zwischen dem Mazda und dem Toyota ausgegangen wäre. Wie die Schlägerei geendet hätte, wenn beide nüchtern gewesen wären. Wie es ist, auf Glatteis zu laufen. Welche Schuhe er anhatte. Wie viel die beiden getrunken hätten. Was der Toyota gekostet hätte, und am Ende wurde sogar noch der Motor fast in seine Einzelteile zerlegt.
An einem Tag fuhr ich zum Bauernhof Villinganes, einem alten, zweistöckigen, mit gelb geflecktem Wellblech verkleideten Haus, das sich unter einen Hügel kuschelt. Drum herum ist eine halb zusammengefallene Umzäunung und eine huckelige Wiese, und darunter windet sich die Héraðsvötn. Auf dem Hof wohnt ein beinah achtzigjähriger Einsiedler, genannt Alli í Nesi.
Als ich frohgemut an die Tür klopfte, war im Innern ein Rumoren zu hören, doch niemand kam zur Tür. Ich klopfte noch einmal, diesmal kräftiger. Wieder hörte ich Geräusche, ohne dass geöffnet wurde. Als ich zum dritten Mal anklopfen wollte, drang ein Meckern aus demHausinnern an mein Ohr. Gleichzeitig ging die Tür auf, und aus der tiefsten Dunkelheit stieg ein zerzauster Mann mit dicker Brille und Tabakstreifen unter der Nase. Er stand einen Augenblick schweigend in der
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