Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Monate lang Landarbeiter auf dem Bauernhof, und ich erinnere mich an lauwarme Milch, weiße Maden im Nerzmist, den üblen Stallgeruch und daran, vom Pferd gefallen und das erste Mal Auto gefahren zu sein. Eine meiner intensivsten Erinnerungen ist jedoch, wie ich in der Stube sitze und im Fernsehen die Jubiläumsfeier der Plattenfirma Motown und Michael Jackson zum ersten Mal den Moonwalk machen sehe. Ein paar Jahre später sitze ich zu Hause, Jackson fällt auf die Knie, und Quincy Jones läuft zu ihm, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Und noch ein paar Jahre später fahre ich gerade in Los Angeles herum, als ich in den Nachrichten höre, dass Michael Jackson Vater wird. Die Zeiten dazwischen liegen im Nebel.
Ich mache einen Stopp an der Tankstelle in Varmahlíð und nutze das gute Wetter, um im Auto Staub zu saugen und die ganze Feuchtigkeit aufzuwischen. Im Wagen hat sich Kondenswasser angesammelt, das sich nachts als Raureif an den Scheiben niederschlägt. Wenn das Auto warm wird, tropft es dann auf mein Gepäck und gefriert dort erneut,wenn es wieder abkühlt. Bei dem schönen Wetter erscheint dieses Problem jedoch als geringfügig.
Ich esse in der Tankstelle, doch es macht keinen Unterschied, ob man sich einen Hamburger, ein Kotelett oder Fisch in diesen Kiosken bestellt, es fehlt stets die Seele in dem Essen. Es hat irgendwie nicht die gleiche Konsistenz oder Fülle wie Selbstgekochtes. Man kann sich nicht damit verbinden. Ich trinke eine Tasse Kaffee und rufe dann bei Alma an. Sie bittet mich, Milch und Toilettenpapier mitzubringen.
Meine Provinz
Héraðsdalur II liegt an einem pferdereichen Berghang und ist eines von vier Gehöften in einer kahlen Talsenke im alten Bezirk Lýtingsstaðahreppur. Die bräunlichen Flussarme der Héraðsvötn fließen gleich unterhalb entlang, und ihnen direkt gegenüber befindet sich Blönduhlíð. Der Hof selbst ist ein neuerer roter Bau mit zwei Etagen. Unter dem einen Hausgiebel hocken meistens vier, fünf Kälber und zupfen sich Heu aus den runden Ballen heraus. Auf dem Hofplatz stehen ein kaputter blauer Traktor und ein klappriger Landrover. Hinter dem Hof steht ein kleiner grauer Pferdestall, und nicht weit davon, unter dem Berghang, quiekt die Pelztierfarm. Weiter innen in der gebogenen Talsenke befinden sich Schafställe und die Scheune von Héraðsdalur II. Auf dem Bauernhof leben Simmi und Alma mit ihren vier Kindern. Sie haben
Kanal 2
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Die Familie wartete in der Eingangstür, als ich ankam, und hieß mich willkommen. Die Kinder mit großen Augen und ein bisschen auf der Hut, während Alma und Simmi schallend über Lappi lachten.
»Mit was um alles in der Welt kommst du denn da angefahren?«, fragte Simmi verwundert und schaute skeptisch auf das Auto.
»Das ist ja eine echte Landkarre!«, fügte Alma hinzu und lachte noch mehr.
»Du bist mein Onkel«, sagte das jüngste Kind stolz.
An den Tagen, die ich auf Héraðsdalur II verbrachte, war die Pelzbearbeitung im Abschluss, und es war relativ ruhig. Für jene armen Würstchen, die nie zum Mann geworden sind, indem sie auf einer Nerzfarm arbeiteten, soll erklärend eingefügt werden, dass sich das Jahr bei Pelztierfarmern in drei Abschnitte gliedert. In Paarung, Wurfzeitund Pelzbearbeitung. Die Wurfzeit liegt im Frühjahr, und die Monate drum herum sind am geschäftigsten und heikelsten. Die Pelzbearbeitung beginnt überwiegend im Oktober und dauert bis Januar. Obwohl auch dann genug zu tun ist, wirkt diese Zeit ruhiger. Das ist einfach Arbeit. Aber nicht Arbeit und Nervenkrisen und der Stress, dass etwas schiefgehen könnte und die Wurfzeit dadurch ausfiele. Für Pelztierfarmer ist die Pelzbearbeitungszeit die Ernte, und daher werden sie insbesondere dann ruhig, wenn sie zu Ende geht.
Morgens verschwanden die Kinder mit dem Schulbus hinter dem pferdegepunkteten Berghang und kamen erst am Nachmittag wieder zurück. Simmi und Alma gingen zur Pelztierfarm und bearbeiteten Felle. Ich schaute mich in der Gegend um, fuhr spazieren oder spielte mit dem Kinderspielzeug, bis ich hörte, dass alle wieder nach Hause kamen. Dann zog ich das Tagebuch hervor und setzte eine nachdenkliche Miene auf. Auf dem Küchenschrank schnurrte der Brotbackautomat den lieben langen Tag.
Nach den Abendnachrichten stand die Pferde- und Schaffütterung an, und dann wurde vor dem Fernseher entspannt. Um auch etwas zur Hofarbeit beizutragen, ging ich mit Alma in die Schafställe. Außer den Pelztieren hielt das Paar auf
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