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Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Liebe Isländer: Roman (German Edition)

Titel: Liebe Isländer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Huldar Breiðfjörð
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noch so lange durchgehalten, bis es uns in einen sicheren Hafen gebracht hatte. Obwohl es Probleme machen würde, den Wagen zur Reparatur zu bringen, hatte er es verdient, dass jetzt etwas für ihn getan wurde, und Lappi hätte keinen besseren Ort wählen können, um darauf aufmerksam zu machen. Er hatte Charakter.
    Natürlich haben wir uns nicht immer und ganz verstanden, aber nach all den Strapazen standen wir uns mittlerweile ziemlich nah. Nach und nach hatte ich herausgefunden, dass es möglich ist, ein Auto zu lieben, und als ich nun schlotternd vor Kälte hinterm Steuer saß und versuchte, es zum Leben zu erwecken, wurden mir die Augen feucht. Armer Lappi. Ich hatte das Gefühl, einen todkranken Verwandten in den Armen zu halten. Einen todkranken Verwandten, dem ich nie gesagt hatte, wie lieb ich ihn habe oder wie stolz ich auf ihn bin. In meiner Verzweiflung versuchte ich erneut zu starten. Doch wie schon zuvor gab Lappi überhaupt kein Lebenszeichen mehr von sich. Tränen tropften aufs Lenkrad.
    Ich hielt einen Augenblick inne, um mich zu sammeln, rief dann die 118 an und erhielt ein paar Telefonnummern von Werkstätten in der Stadt. Bei den ersten drei wurde mir mitgeteilt, dass an den nächsten Tagen alles komplett ausgebucht sei. Bei den nächsten beiden war man sich wohl zu fein, um einen Lappländer zu reparieren, aber dersechste Automechaniker, mit dem ich sprach, sagte, dass er sich »den Armen« ja einmal anschauen könnte. Als ich ihn »den Armen« sagen hörte, war ich überzeugt davon, dass er der richtige Mann war. Während ich auf den Automechaniker wartete, der uns abschleppen wollte, unterzog ich mich einem leichten Psychotest. Konnte es zu den normalen Reaktionen gezählt werden, zu weinen, wenn ein Auto nicht ansprang?
    Wie gesagt: Dieser ’81er Volvo Lappländer war nicht nur ein Auto, sondern auch mein Reisegefährte und Heim. Die Nächte auf der Liegefläche glichen zwar am ehesten dem Liegen in einem Sarg. Und jedes Mal starb etwas, so dass ich jeden Morgen frisch und wiedergeboren aus ihm herausgekrochen kam. Ein wenig selbstsicherer als am Tag zuvor. Aber ich hatte in diesem Moment sowohl einen Freund als auch eine Art Mutter verloren, und darüber hinaus saß ich auf der Straße. Daher befand ich, dass die Tränen auf der richtigen Seite der Normalitätsgrenze herunterfielen. Doch ich weiß nicht, auf welcher Seite dieser fabelhaften Trennlinie der Automechaniker mich verortete. Draußen schneite es, und ich saß zusammengekauert hinter dem Steuer; die Sonnenbrille auf der Nase, damit er nicht sehen konnte, wie gerötet meine Augen waren.
    »So, er weigert sich also anzuspringen, der Arme«, sagte der Automechaniker. Wir standen neben dem Wagen, ich die Hände in den Taschen, er dabei, ein Seilknäuel zu lösen. Er war ein junger, dunkelhaariger Mann und so schrecklich ruhig, dass es mich stresste. Dieser Mann würde sicher Monate brauchen, um den Jeep wieder flottzumachen.
    »Er hat gestern angefangen, an Kraft zu verlieren, als ich gerade über die Hochebene fuhr«, antwortete ich hinter der Sonnenbrille und zog die Nase hoch.
    »Das müssen wir uns mal ansehen. Wohin bist du unterwegs?« Er sah von dem Seilgewirr auf und betrachtete mich. »Spielst du in einer Band …?«
    Ich weiß nicht, was ich dachte, wahrscheinlich war ich so nervös,dass er den Ernst der Lage nicht verstand, oder vielleicht war ich der Rolle des Gestrandeten so müde, oder vielleicht war es, weil alle sich immer nur für Popmusiker interessierten, jedenfalls antwortete ich: »Mhm, ja. Gusgus.«
    »Ach«, antwortete der Mechaniker. »Ach so. Wo sind denn die anderen? Ihr werdet wohl nicht hier in der Stadt spielen?«
    »Nein. Wir sind in … Húsavík gebucht, und deshalb ist es ein bisschen eilig, das mit dem Auto. Die anderen sind … im Hotel«, antwortete ich und fand es unerträglich, wie wohl ich mich in der Rolle fühlte.
    Der Mechaniker beugte sich über die Stoßstange und befestigte das Seil. »In Húsavík?«
    »Naja, nicht direkt spielen. Wir wollen in ein Studio dort … um unsere Ruhe zu haben.«
    »Ja klar, natürlich. Und was spielst du?«
    »Schlagzeug«, antwortete ich.
    Er stand wieder auf und klopfte den Schnee vom blauen Overall. »Wie, habt ihr nicht immerzu Auftritte?«
    »Ach. Wir versuchen, zwischendurch nach Hause zu kommen. Sag mal, meinst du, du könntest dich mit der Reparatur etwas ranhalten? Wir haben die Studiomiete da im Osten nämlich schon bezahlt. Wenn wir nicht pünktlich

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