Liebe Isländer: Roman (German Edition)
da sind, geht uns die Studiozeit verloren.« Ich zögerte kurz und fügte dann noch hinzu, ohne zu wissen warum: »Dann kriegen wir die Platte nie fertig.«
Der Mechaniker sah mich an und sprach wie zu seinem besten Freund: »Ich versuche, so fix wie möglich zu machen. Geht natürlich nicht, dass ihr die Platte nicht fertigbekommt, Mann.«
Ich wandte mich dem Auto zu und flüsterte aufmunternd: »Wir stehen das zusammen durch, Lappi. Was anderes kommt gar nicht in Frage.«
Auf dem Gesicht des Mechanikers erschien ein seltsamer Ausdruck, aber es war mir egal. Ich war Schlagzeuger, und die besten von denen sind immer verrückt. Auf dem Weg in die Werkstatt kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht immer eine Sonnenbrille tragen sollte.Und nun hieß es warten. Der Mechaniker sagte, ich solle ihn gegen Abend anrufen, um nachzufragen, wie es liefe. Ich hatte eigentlich einen Tag in Akureyri geplant, doch jetzt sah es aus, als könnten es mehrere werden. Ich buchte einen Schlafsackplatz in der Jugendherberge und ging dann hinunter in die Stadt. Es war Freitag und die Stimmung im Zentrum »voll cool«, wie es so schön heißt. Seeleute im Streik wankten mit klimpernden Flaschen in der Tüte die Gehwege entlang, auf dem schneebleichen Rathausplatz fuhren Jugendliche Skateboard, und der Autokorso zog seine Runden. Hinter einem russischen Rostkahn lag die ganze Schiffsflotte von Akureyri im Hafen.
Wie sich herausstellte, war die Kirche verschlossen. Das Kunstmuseum von Akureyri war zu. Das Davíðshús war nicht offen und das Nonnahús, Jón Sveinssons Geburtshaus, auch nicht. Daher blieb nicht viel anderes zur Auswahl, als sich in eines der Cafés der Stadt zu setzen. Ich war halb erleichtert, mir nichts ansehen zu müssen.
Das Rathauscafé befindet sich am gleichnamigen Platz, und von meinem Stuhl am Fenstertisch aus war die Sicht über die Einwohner von Akureyri draußen ausgezeichnet. Ihre Gangart hatte mich schon lange fasziniert. Die meisten Männer sind ein klein wenig o-beinig und tragen wohl Rasierklingen unter den Armen, so dass ihr Gang zu einem Schaukeln wird. Das, was ihn darüber hinaus typisch akureyrisch macht, ist, dass sie gleichzeitig, während sie vorwärtsschaukeln, auch noch so trippeln, als wateten sie in neuen Schuhen durch Matsch. Das habe ich nirgendwo sonst gesehen, und es ist mir ein Rätsel, warum das für die Männer von Akureyri so charakteristisch ist. Am ehesten könnte ich mir denken, dass die löchrigen Straßen und mit Pfützen übersäten Gehwege der Stadt erst außergewöhnlich spät asphaltiert und befestigt wurden. Mit der Zeit hat sich dann das Trippeln irgendwie mit dem Meereswanken der Vorväter, die ihren Lebensunterhalt mit Fischfang bestritten, vermischt und wurde so zu diesem trippelnden Schaukeln. Wenn sich diese besondere Gehweise mit dem männlichen und einen Hauch übertriebenen Auftreten vermischt, ist esnicht mehr weit, bis die akureyrischen Männer aussehen, als tanzten sie die Straßen entlang. Und dennoch liegt eine gewisse Schwere in ihren Schritten, und man hat ein Gefühl, dass man ihnen vertrauen kann. Jeder Einzelne ist wie der große Junge der Klasse.
Die Frauen hingegen scheinen beständig auf dem Weg einen Hang hinunter zu sein. Man kann sie im Grunde in zwei Gruppen einteilen. Zum einen ist da der weibliche, fast schon untergebene Typ, der sich müde den Hang hinunterschleppt, so dass der Körper mit jedem Schritt einen Stoß erhält, der das Kinn jedes Mal von der Brust hochschubst. Auf der anderen Seite gibt es das muntere und oft kurzhaarige, knabenhafte Mädchen, das den Hang mehr hinabgaloppiert. Die Lage der Stadt ist die naheliegendste Erklärung für diese Gangart, und vielleicht hat das extrem steile Gilið am meisten zu ihrer Herausbildung beigetragen. Allerdings hat sie die Fortbewegungsweise der Männer wohl nicht beeinflussen können, und daher ist es sowohl schön als auch wundersam, ein akureyrisches Paar zusammen gehen zu sehen. Wenn dann zu der betreffenden Person noch ein hohes Alter, Stress oder der persönliche Stil dazukommt, ist das Resultat derart eindrucksvoll, dass es geradezu schade ist, dafür keine Kurse in der Kunst- und Tanzschule Kramhús in Reykjavík zu finden.
Ich trank zwei, drei, vier Tassen Kaffee und versuchte, irgendeine Beschäftigung zu finden. Ich war schon einige Male durch Akureyri gekommen, und obwohl ich die Stadt schön fand, gab es darin nicht viele Orte, abgesehen von den Museen und dem Weihnachtshaus, die
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