Liebe Isländer: Roman (German Edition)
man besuchen konnte. Es war eigentlich schlimmer, in so einer großen Stadt zu sein als in einem der kleineren Orte. Da konnte man einfach in den Kiosken herumhängen und befand sich dadurch gleich mittendrin. Konnte sich mit wem auch immer unterhalten. Hier aber gab es keinen Straßenkiosk, den man als Eingangstür in den Ort benutzen konnte, und daher blieb man selbst außen vor. Es ist bestimmt schön, ein Wochenende in Akureyri zu verbringen. Zum Essen ausgehen, Ski fahren oder ins Theater gehen, aber dafür hatte ich nicht die Mittel. Ich fühlte mich wie ein gut ausgerüsteter Bergsteiger, der auf ein Hochhaus imViertel Breiðholt klettert. Das Beste, was mir einfiel, war, ins Solarium zu gehen.
Am Abend rief ich den Automechaniker an, der mir eindeutig zu verstehen gab, dass Lappi frühestens am nächsten Tag fertig werden würde. Der Vergaser musste ausgebaut und gereinigt werden. »Stürzt ihr euch nicht einfach ins Leben? Macht ihr Popmusiker nicht immer einen drauf?« Er schien diesen Schlagzeuger um sein abenteuerliches Leben zu beneiden. Ich konnte ihn gut verstehen. Ich beneidete den Schlagzeuger selbst.
Dieser kleine Schwindel hatte sich schon zu weit ausgedehnt, als dass es mir möglich gewesen wäre, ihn zu berichtigen. So antwortete ich: »Doch. Bestimmt. Wir werden uns wohl eine Bar suchen.«
Als ich ihn fragte, wo man am besten hingehen könnte, sagte er klar und deutlich: »Die Yuppies und die Älteren sind im Pollinn, die Saufbolde im Oddvitinn, die Jüngeren im Sjallinn, die zivilisierte Kultur im Kaffi Karólína, eine Mischung aus allem im Kaffi Akureyri, und der Ausschuss sitzt im Rathauscafé.« Der Ausschuss?
Es konnte schwierig sein, Ersatzteile für einen Lappländer zu bekommen, und ich konnte mir kaum etwas anderes vorstellen, als dass diese Reparatur zu einem großartigen Problem werden würde. »Und, also, du meinst, das wird in Ordnung gehen mit dem Wagen? Wann soll ich dich denn morgen anrufen?«
»Ich werde bis heute Nacht an ihm arbeiten und hoffe, dass ich alles bis morgen Mittag fertigbekomme. Es ist nur der Vergaser.«
Bis in die Nacht? Hatte ich ihn dazu gebracht, bis in die Nacht für Gusgus zu schuften? Außerdem war Wochenende. Was, wenn er Familie hatte?
»Ja, das wär total super, wenn du das hinbekämst. Es steht natürlich viel auf dem Spiel und …«
»Das ist kein Problem. Aber ich verlange dafür auch später ein signiertes Exemplar von der Platte«, antwortete er unausstehlich aufmunternd.
Ich versprach es ihm und außerdem, dass ihm im Booklet besonderer Dank ausgesprochen würde. Als ich auflegte, hatte ich heftige Gewissensbisse. Ohne dass mir klar war, ob es an den Lügen lag oder an seinem enormen Glauben an die Band. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich sollte eher mit der Band proben, als auf dieser Rundreise sein.
Der abendliche Autokorso durch die Innenstadt, den die Partyhungrigen an den Wochenenden veranstalten, bildet in Akureyri eine Art 8, und bei meinem späten Abendbummel durch das Stadtzentrum schien mir, dass es nur ungefähr eine Minute dauerte, die ganze Acht zu fahren. Ab und zu brachen einige Autofahrer aus der Linie aus, fuhren am Sjallinn vorbei und kamen einige Minuten später wieder zurück. Wenn das geschah, war eine leichte Enttäuschung zu bemerken, die sich unter denen ausbreitete, die übrig waren. Jedes einzelne Auto war von Bedeutung, und es wurde etwas leerer, wenn jemand davonfuhr. Hingegen war es so, dass in dem Auto oft ein neuer Passagier saß, wenn es zurückkam. Dann stockte der ganze Korso, weil jeder Chauffeur das Tempo drosselte, wenn er dem Wagen mit dem neuen Passagier begegnete.
Die Leute reckten die Köpfe aus den Fenstern und riefen sich zwischen den Autos zu. Andere kamen angelaufen und durften einsteigen und mitfahren, um sich aufzuwärmen. Es hatte etwas Schönes und Persönliches, das alles, und erinnerte mich an eine Familie, die sich nach einem Familientreffen auf den Heimweg macht und auf dem Parkplatz herumfährt, um die Ausfahrt zu finden. Ein klein wenig verloren und vielleicht ein bisschen müde, wieder und wieder denselben Leuten zuzunicken.
Der Abend verlief ruhig, doch auf den Gehwegen tummelten sich kichernde Halbwüchsige, nuschelnde ältere Herren, festlich herausgeputzte Paare und ganze Besatzungen der Fangschiffe. Und natürlich Reykjavíker. An ihrer Sprechweise und ihren Anoraks waren sie leicht auszumachen. Reykjavíker finden es schick, sich in Anoraks zu kleiden, wenn sie sich
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