Liebe Isländer: Roman (German Edition)
mache ich eine viel zu große Sache draus, und sie hat alles schon längst vergessen. Doch es ist genau dieser Zweifel, der mich daran hindert, wieder wegzugehen. Traue ich mich nicht? Ich mache zwei Schritte von der Schwelle und linse nochmals durch das Fenster hinein. Der Kunde scheint gar nicht an den Weg nach draußen zu denken.
Ich fühle mich so wie als ich zum ersten Mal Kondome kaufen ging. Eigentlich hatte Mama sich angeboten, sie für mich zu besorgen: »Lieber Huldar. Ich meine zu wissen, dass du angefangen hast, du weißt schon, und ich weiß auch, dass es schwer ist, sie zu kaufen, du weißt schon. Aber es ist heutzutage einfach wichtig, sicher zu praktizieren, du weißt schon. Deshalb dachte ich mir …« Ich fand die Vorstellung, Mama in die Sache zu verwickeln, schrecklich und hatte mich selbst schon von allein auf den Weg gemacht, ein Jahr davor oder so. Wieder und wieder. Und zum Schluss bis ganz hinein in die Drogerie. In dem Alter ist das Gefühl, mit einem Päckchen Kondome in der Tasche aus der Drogerie zu kommen, schöner, als eine Befriedigung zu erlangen.
Jetzt lacht der Kunde und verlässt den Kiosk. Ich springe hinter den Giebel zurück, doch er kommt um die Ecke und sieht mich an, als wäre ich geisteskrank, während er sich in sein Auto setzt. Was soll das denn, es gibt auch noch andere als dich, die mal mit ihr sprechen müssen! Okay, entspannen, ich kann da nicht so geladen hineingehen. Das wäre eine Wiederholung. Der Mann setzt sein Auto zurück aus der Parklücke und fährt weg, und ich hole tief Luft, strecke die Brust raus und gehe rasch zur Eingangstür.
Als ich hineinkomme, dreht sie gerade den Rücken zur Tür und ist immer noch damit beschäftigt, die Eismaschine zu putzen. Es ist, als wäre ich nie weg gewesen. Sie trägt denselben roten Tankstellenpullover,hat zweifellos den gleichen Lappen in der Hand und mich nicht bemerkt, denn sie rührt sich nicht und putzt weiter. Wird mir hier eine zweite Chance gegeben, lautlos hinauszugehen? Ich glaube, ja. Dass ich irgendjemandem an irgendeinem Ort gezeigt habe, dass ich Manns genug bin, jemanden um Verzeihung zu bitten, und das sei ihm genug. Ich mache also kehrt und schleiche zur Tür, doch als ich die Hand vorsichtig auf die Klinke lege, geschieht zweierlei. Eine Frau im T-Shirt läuft an den Kioskfenstern vorbei und ist offensichtlich auf dem Weg hinein. Hinter mir höre ich die Verkäuferin fragen: »Kann ich dir helfen?«
Ich erstarre auf der Stelle. Es ist klar vernehmlich an dem trotzigen und sogar etwas erschrockenen Ton in ihrer Stimme, dass sie mich wiedererkennt. Ich habe ja auch dieselben Sachen an wie letztes Mal. Wenn ich die Tür aufreiße und davonlaufe, wird sie denken, dass ich irgendetwas weggenommen habe und abhauen will oder dass ich gekommen bin, um sie noch mehr zu bedrohen, dann aber den Mut verloren habe. Das könnte noch als Polizeiangelegenheit enden, ja sogar als hysterische Meldung auf der letzten Seite der Klatschpresse. Die T-Shirt-Frau steht jetzt genervt vor der Tür und wartet darauf, dass ich entweder herauskomme oder zur Seite gehe, so dass sie hineinkann. Was soll ich tun? Es darauf ankommen lassen, um eine kleine Cola bitten und darauf warten, dass die Frau hier vor mir ihr Anliegen erledigt, und dann mit der Verkäuferin sprechen? Würde sie nicht gleich die Polizei rufen, während ich die Cola schlürfe? Oder einen Zettel schreiben und der Frau zusammen mit dem Wechselgeld zustecken: »Bleib bitte solange hier, bis die Polizei eintrifft. Dieser Mann ist geisteskrank. Ich habe Angst, allein zu sein.« Ich würde es nicht schaffen, um Entschuldigung zu bitten, bevor die Frau von draußen bis zum Tresen gekommen ist. Und jetzt klopft sie ärgerlich an die Scheibe in der Tür. Bestimmt ist ihr kalt geworden. Bin ich ein Mann?
Als ich mich umdrehe, legt sich ein verbissener Ausdruck über das Verkäuferinnengesicht. Hinter mir öffnet sich die Tür, und ich spüre, dass auch diese Frau mich im Vorbeischreiten empört ansieht. DieVerkäuferin und ich sehen uns in die Augen, und sie verstärkt den Griff um den Lappen. Es ist unübersehbar, dass sie die andere Frau kennt und sich wohler fühlt, wenn sie bei ihr im Kiosk ist.
»Kann ich dir helfen?«, wiederholt sie entschlossen und voller Widerwillen. Als Nächstes sagt sie irgendwas in der Richtung wie, sie wolle mich nicht hier drin haben. Sie gibt mir nur gerade so eine Gelegenheit, etwas zu meiner Verteidigung zu sagen. Ich schaue in die
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