Liebe Isländer: Roman (German Edition)
haben sich Schneewehen angesammelt, und zwischen den Häusern herrscht reges Schneetreiben. Das ist ein Problem. Ich kann das Auto nirgendwo abstellen. Nach Munchs Schrei an Erfahrung reicher, weiß ich, dass solch ein Schneegestöber durch die Türen kriechen und sich um den Motor legen kann. Im Windschatten der wenigen schützenden Mauern, die ich ausmachen kann, ist es dunkel, doch ich habe die Nase von Dunkelheit gestrichen voll. Am Ende parke ich unter einer Laterne auf dem Parkplatz vor dem Hotel Reynihlíð, auf dem der Schnee sich immerhin nicht anzusammeln scheint. Und wenn das Wetter das Auto durchrütteln will, dann ist es eben so.
Ich mache mich schlafbereit, ziehe die Gardinen vor die Fenster und krieche in den Schlafsack, doch ich kann keine Ruhe finden. Das Auto schaukelt so stark, als würde es noch immer fahren. Ich richte mich halb auf, zünde mir eine Zigarette an und betrachte den Wagen im Dunkeln. Der Verbandskasten hängt zum Glück noch unbenutzt im Netz unter der Decke. Die rote Kühlbox auf dem Boden neben demMotor habe ich bisher so gut wie nicht genutzt sowie auch gerade mal einen Bruchteil vom Gepäck in den Taschen neben mir. Das Auto allein scheint mir fast zu genügen, er ist unglaublich, dieser Wagen. Die Kraftlosigkeit kurz bevor der Geist auftauchte, war kein Defekt, sondern eine Reaktion. Die gleiche wie bei einem Pferd, das scheut, oder wie bei einem Hund, der wild wird, wenn Gefahr im Verzug ist. Geliebter Lappi.
Ich rauche die Zigarette zu Ende, will aber sofort noch eine. Bekomme dann Durst, als ich diese ausdrücke. Ich habe nichts zu trinken und schäle mich aus dem Schlafsack, öffne die Tür, strecke mich hinaus und kratze Schnee vom Parkplatz. Befinde mich in einem Auto, auf einem Parkplatz am Mývatn, in einem Unwetter, Schnee essend. Was kommt als Nächstes? Vielleicht Reynir Pétur anrufen, der das ganze Land zu Fuß umwandert hat, und dann fahrt ihr beiden Kumpels die Ringstraße zusammen mit dem Fahrrad? Ich rauche noch einige Zigaretten, esse noch mehr Schnee, spucke Steine aus und versuche mich daran zu erinnern, wann ich mir das letzte Mal die Zähne geputzt habe.
Es ist unangenehm, mit Schnee auszuspülen.
Bald wird es Frühling.
Zimmer 11
Okay, du willst dich einschließen. Du wirst die Selbstfindung fester in den Blick nehmen. Wie eine Arbeit. Wie ein Isländer. Du findest es nicht nur längst überfällig, sondern auch lebensnotwendig, nachdem du den Geist gesehen hast. Er war so real in der Dunkelheit und erinnerte dich unangenehm an das eigentliche Leben. Du hattest eine Scheißangst, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass noch weitere auf deinem Weg nach Hause auftauchen werden. Was dir am unheimlichsten erschien, war der Ausdruck, der in seinen Augen lag. Du konntest denselben triumphierenden Blick wie in den Augen der Verkäuferin aufblitzen sehen, und du konntest sehen, dass er deine Furcht spürte, genau so, wie die lieben Pferde es tun. Dieses Mal hast du noch Glück gehabt. Hier am Mývatn wirst du also diese Suche nach dir abschließen, dich selbst finden, ein Mann werden. Dasselbe machen wie die anderen Genies, Mozart und die Beatles und Cobain, als sie ihre größten Werke komponierten. Dich einige Tage isolieren.
Obwohl du gerade erst aufgewacht bist, hier in Zimmer 11, bist du müde. Heute Nacht, als du endlich am Einschlafen warst, hast du bemerkt, dass der Schnee durch die Ritzen drang. Du hast versucht, ihn zu entfernen und Toilettenpapier in den Türspalt zu stopfen, doch dir wurde so kalt, dass du schnell aufgegeben hast. Hast dich in die eine Ecke gedrückt, versucht, die Wärme bei dir zu behalten, und den Schnee beobachtet, wie er sich in Häufchen auf deinem Gepäck ansammelte. Als es sieben Uhr wurde, hieltest du es für unbedenklich, am Hotel Reykjahlíð vorzufahren, an der Tür zu klingeln und um einen Schlafsackplatz zu bitten. Die Hotelleiterin hatte größtes Mitleid mit dir und überließ dir das beste Zimmer des Hauses. Du bistallerdings auch der einzige Gast. Aber es ist ein schönes, schlichtes Dachzimmer, von dem ein kleines Badezimmer abgeht. Die Wände sind weiß, der Teppich hell und die Gardinen rot. In der Mitte steht das Bett, direkt gegenüber ein weißer Schrank, und daneben befinden sich ein Stuhl und ein Schreibtisch, darauf ein kleines Radio, eine volle Kaffeekanne und eine weiße Lampe. Hier kann man sich prima selbst finden, und von hier gehst du nicht fort, bevor das erledigt ist.
Du sitzt am
Weitere Kostenlose Bücher