Liebe Isländer: Roman (German Edition)
Pärchen hin und wieder verlegen zu, dachte jedoch bald nicht mehr an die beiden und begann mit dem Koch zu plaudern. So saßen die vier dort zusammen, bis die Nachrichtenzu Ende waren, das Pärchen versuchte in Frieden verliebt zu sein, und der Koch und der Kellner fluchten über jede zweite Meldung.
Es regnete in Strömen, als ich Bakkinn verließ, und Ruhe lag über dem Ort, doch ich hatte einiges zu tun. Der Matsch ist in Húsavík vielfältiger als anderswo auf dem Lande, daher musste ich stets Obacht geben, wohinein ich als Nächstes stapfte. In Matsch mit Frostüberzug, der dann entweder nachgab oder nicht. In Matschpfützen, die nasser sind als sonst irgendwas. In Schneematsch, der unter den Schuhen festpappte und beim nächsten Schritt gefährlich werden konnte. Oder in puren Matsch, der sich auf den Schuhspitzen festsetzte und den Schuh von oben durchnässt, wenn man ihn nicht abschüttelt. Ich stakste durch die dunklen Straßen Húsavíks wie ein vergessener Soldat durch ein Minenfeld und überlegte, was ich machen könnte. Aus offensichtlichen Gründen kam es nicht in Frage, sich in den Tankstellenkiosk zu setzen. Die Kirche war sicherlich verschlossen, und im Hotel wäre ich so triefend nass auch nicht sonderlich willkommen. Es blieb mir also nichts weiter übrig. Als ich auf dem Weg zum Auto war, kam ich an ein großes gelbes Haus, auf dem stand: »Hlöðufell – Pub, Café, Bar, Restaurant, Entertainment.« Obwohl das Schild vielversprechend aussah, war das Restaurant leer. Ich machte es mir an einem der Tische bequem und schlug die Zeit mit einem neuen Spiel tot, das ich vor Ort entwickelte – es zu schaffen, die Kaffeetasse jedes Mal geleert zu haben, wenn die Serviererin wieder erschien, um mir einen Nachschlag anzubieten. Dieses Spiel stellte sich sowohl als schwieriger als auch als interessanter heraus, als ich erwartet hatte. Die Hauptregel lautete, dass ich auf keinen Fall auf die weiße Tischdecke kleckern durfte, doch natürlich wurde ich mit jeder Tasse nervöser und zittriger. Ich gab mir zwar keine Punkte dafür, setzte mir aber das Ziel, die Serviererin dazu zu bringen, irgendeine Reaktion darauf zu zeigen, dass ich so viel Kaffee trank. Als ich zu schwitzen begann und mit den Zähnen knirschte, hatte sie noch nicht einmal die Augenbrauen hochgezogen. Zum Glück kam Hemmi herein. Nicht der Hemmi, sondern ein alter Bekannter meiner Eltern. Ein großer Mann aus Akureyri mitschelmischem Lächeln, der jetzt in Húsavík wohnt. »Was machst du denn hier, Junge?«
Und er lud mich zum Übernachten ein.
Heut scheint die Sonne. Ich sitze neben einem verrosteten Öltank am Hafen und kann gut verstehen, was die Leute meinen, wenn sie sagen, Húsavík sei schön. Es ist bloß nicht egal, von wo aus man schaut. Vom Öltank aus ist die Aussicht vollkommen. Zuvorderst erhob sich ein rotes Gebäude, am höchsten in der Mitte, und dort steht in weißen Buchstaben »Vereinigte Fischverarbeitung Húsavík«. Direkt hinter diesem Märchenschloss des Ortes ragt die Kirche auf, in grün und weiß und irgendwie nicht von dieser Welt. Gleich an ihrer Seite steht ein altes gelbes Haus der »Handels-Cooperative«. Zusammen bilden diese Gebäude die heilige Dreieinigkeit der ländlichen Siedlung, Fischerei – Religion – Landwirtschaft. Zwischen ihnen stehen alte Wellblechhäuser in allen Farben, und hinter all dem wacht der stromlinienförmige Húsavíkurfjall. Direkt vor mir ziehen Schiffe mit einem freundlichen Knarzen gemächlich von und zur Anlegebrücke. Irgendwo hustet ein Fischkutter. Wie ausgestopft wirkende Möwen beobachten die Gänse, die im Hafen schaukeln, bis aus dem Frachtraum irgendeines Schiffes eine Schleifmaschine kreischt und sie wieder erwachen, ihre Schwingen ausbreiten und das Geräusch hinwegfegen. Und Stille.
Ich bin heut Morgen zeitig erwacht und begebe mich zum Frühstück ins Hotel. Für das Selbstvertrauen ist es eine Stärkung, so früh am Tag das weiße Papier von den zugeschnittenen Käsescheiben abzuziehen, so als ob man es zu etwas gebracht hätte. Am Nachbartisch saß ein gerade aufgestandenes deutsches Ehepaar, das so weit im Leben vorangeschritten war, dass es keine Zeit mehr zum Einkaufen hatte und deshalb einige Zuckertütchen einsteckte. In dem Moment, als ich die Rechnung beglich, kam ein alter Schulkamerad aus der Küche heraus. Eingekleidet zum Bergwandern, hinterm Tresen wie zu Hause und so ungeheuer groß geworden. Er gab an, Reiseleiter für die Regionzu
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