Liebe ist der größte Schatz
uns letztes Jahr besuchte. Margaret ist blond wie Sie und hat ungefähr Ihre Größe.“
„Und Sie meinen, es würde ihr nichts ausmachen, wenn ich mir das Kleid ausleihe?“
„Überhaupt nicht. Sie ist das großzügigste und friedfertigste Wesen, das ich kenne.“
Eine Stunde später erkannte Emerald sich kaum wieder. Sie starrte in den hohen Umkleidespiegel in Lucindas Zimmer und hatte das Gefühl zu träumen. Die Abendrobe, die sie trug, saß wie angegossen. Sie war nicht zu kurz und nicht zu weit wie ihre sämtlichen anderen Kleider, sondern schmiegte sich perfekt an ihren Körper und betonte ihre schlanke Gestalt. Aber es war die Farbe, die am meisten zu ihrer Verwandlung beitrug. Das tiefe Mitternachtsblau des seidigen Stoffs verlieh ihrer leicht gebräunten Haut einen goldenen Schimmer und hob die ungewöhnliche Farbe ihrer Augen hervor. Lady Lucindas Zofe hatte es tatsächlich geschafft, ihre Locken zu einer Frisur zu arrangieren, und ihre Ohrläppchen zierten zwei tropfenförmige Topase aus der Schatulle ihrer Gönnerin.
„Sie sehen bezaubernd aus“, schwärmte Lucinda, nachdem sie Emerald die Ohrgehänge befestigt hatte. „Wie ich sehe, haben Sie mehrere Löcher im Ohr.“
„Das ist so üblich in Jamaika.“
„Und die Handschuhe? Ist es in Jamaika auch üblich, sie niemals abzulegen?“
Ihre Blicke trafen sich.
„Nein, ich trage sie aus freien Stücken. Sie gefallen mir eben.“
„Dann sollten Sie einen Dernier Cri aus Ihrer Vorliebe ma chen.“ Lucinda lächelte und begann in einer Kommode zu wühlen. Schließlich zog sie ein Paar schneeweiße Handschuhe hervor und hielt sie Emerald hin.
Emerald blieb nichts anderes übrig, als ihre alten Handschuhe auszuziehen. Sie bemühte sich, es rasch zu tun und versuchte, ihre Handflächen so gut es ging zu verbergen. Als sie die neuen übergestreift hatte, warf sie Lucinda einen verstohlenen Blick zu.
Das Mädchen hatte es gesehen.
„Ich habe Verbrennungen erlitten“, bemerkte Emerald knapp, denn mehr wollte sie nicht preisgeben. Zum Glück verdeckten die neuen Handschuhe das unansehnlich vernarbte Gewebe, das die Menschen dazu brachte, den Blick abzuwenden, wenn sie es sahen. Aber Feuer hinterließ nun einmal verheerende Narben, und ihre Hände hatten minutenlang in Flammen gestanden, bevor sie ins Meer gesprungen war. „Ich würde es vorziehen, wenn Sie niemandem davon erzählen.“
„Ich verspreche Ihnen, dass ich es für mich behalten werde.“
Nach fünfzehnminütiger Fahrt in der Kutsche kam Thornfield in Sicht. Emerald atmete auf, als sie den Ort erreichten. Asher hatte kein Wort mit ihr gewechselt und ihr nicht einmal ein Kompliment wegen des neuen Kleides und der neuen Frisur gemacht. Obgleich sie derlei weibliche Regungen verachtete, musste sie sich eingestehen, dass seine Gleichgültigkeit sie kränkte. Er saß so weit wie möglich entfernt von ihr in der äußersten Ecke der Bank und würdigte sie keines Blickes.
„Ich muss einen kleinen Umweg zum Hafen machen. Mein Schiffsbauer in London benötigt einige Pläne von mir.“
Der Verdruss, den Emerald eben noch empfunden hatte, wich einer freudigen Aufregung. „Werden wir an Bord Ihres Schiffes gehen?“, fragte sie so gleichmütig wie möglich.
„Sie können in der Kutsche warten, wenn es Ihnen lieber ist. Es wird nur einen Augenblick dauern, die Zeichnungen zu holen.“
„Ich würde Sie gern begleiten“, brachte sie mit geröteten Wangen hervor.
„Also gut. Allerdings muss ich Sie warnen. Auf einem Schiff kann man sich nicht so frei bewegen wie an Land.“
Emerald schlug ihren Fächer auf und verbarg ein Lächeln. „Ich denke, ich werde zurechtkommen, aber ich hoffe, dass ich Ihnen nicht zur Last falle.“
Er antwortete nicht, sondern blickte aus dem Fenster, während die Kutsche sich dem Hafen näherte.
Asher half ihr über die Landungsbrücke, und kaum dass sie einen Fuß an Bord des Schoners gesetzt hatte, blieb sie stehen und atmete selig auf. „Sie haben ein schönes Schiff.“ Verträumt griff sie nach einem herabhängenden Tau und blickte am Hauptmast hinauf.
„Mit diesem Tau, bei uns ‚Fall‘ genannt, hisst man das Hauptsegel.“
Emerald lächelte. Es war eine charmante Geste, dass er seine Erklärung so einfach hielt. „Sind Sie viel gesegelt?“
„Früher.“
„Jetzt nicht mehr?“
„Ich habe den Geschmack daran verloren“, erwiderte er knapp und half ihr den Niedergang hinunter. „Zum Kartenraum geht es hier entlang. Vorsicht, die Stufen
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