Liebe ist der größte Schatz
er ihr in die Scheune gefolgt wäre? Er hätte sie hart und schnell genommen, ohne an die Folgen zu denken. Emma mit ihren türkisblauen Augen und ihrer exotisch gebräunten Haut machte ihn unbekümmert und verwegen – so, wie er früher einmal gewesen war.
Gütiger Himmel, was geschah mit ihm? Er musste aufhören, an sie zu denken, denn er begann Dinge infrage zu stellen, die ihm bislang wichtig gewesen waren – Regeln.
Gewohnheiten. Sorgfalt. Selbstbeherrschung.
Chaos brachte Verlust mit sich, dass hatte er am eigenen Leib erfahren. Er trat ans Fenster und sah in die mondhelle Nacht hinaus. Dann fiel sein Blick auf den Globus, der neben ihm stand, und er begann ihn zu drehen, bis der Golf von Mexiko auftauchte. Langsam fuhr er mit dem Zeigefinger an der schartigen Küste Jamaikas entlang. Emmas Heimat. Nur wenig weiter westlich lagen die Untiefen von Yucatan.
Sie waren lautlos aus dem Nebel aufgetaucht und hatten beträchtliche Fahrt gehabt, als sie auf Sandfords Brigantine zugesegelt waren. Ein glücklicher Zufall hatte dazu geführt, dass sie sein Schiff rasch und mühelos aufspüren konnten. Er war überzeugt gewesen, Genugtuung zu empfinden, wenn er Sandford mit seinem Säbel erstach. Nach einem Jahr Gefangenschaft und einem weiteren Jahr der Genesung hatte er damit gerechnet, Triumph zu verspüren. Doch nichts davon war eingetreten. Asher streckte seine verstümmelte Hand aus und fluchte unterdrückt. Selbst heute noch gärte der Hass in ihm, sobald er an Beau Sandford dachte.
Er betrachtete sein Spiegelbild im Fenster und runzelte die Stirn. Er war sich seines Lebensweges so sicher gewesen … bis vor Kurzem. Bis … Sein Antlitz auf den Scheiben verblasste, und vor seinem inneren Auge tauchten erneut Emmas Züge auf. Sie beherrschte seine Gedanken bei Tag und bei Nacht, selbst in seinen Träumen erschien sie ihm.
Und das durfte er nicht zulassen, so geheimnisumwoben und mysteriös wie sie war. Er ballte seine rechte Hand zur Faust und schloss die Augen. Der einzige Weg, sich zu schützen, war, seine Gefühle zu unterdrücken.
Emma Seatons Aufenthalt in Falder war in drei Tagen vorüber. Danach würde sie aus seinem Leben verschwunden sein. Asher beschloss, ihr in der verbleibenden Zeit so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen.
9. KAPITEL
Beim Frühstück am nächsten Morgen beschränkten Emerald und Asher sich auf förmliche Höflichkeit und den Austausch oberflächlicher Nettigkeiten.
„Sind die Eier zu Ihrer Zufriedenheit, Lady Emma?“
„Sie sind perfekt, Euer Gnaden. Wenn Sie so freundlich wären, mir die Erdbeermarmelade zu reichen?“
Emerald beschlich zunehmend das Gefühl der Verzweiflung. Zum Glück saßen Lucinda und Taris mit am Tisch und lenkten sie von ihren düsteren Gedanken ab.
„Ich habe gestern Malcolm Howard im ‚Red Lion‘ getroffen, Asher“, bemerkte Taris plötzlich und betupfte sich mit der Serviette die Mundwinkel. „Er sagt, du wärst schwimmen gewesen, unten in der Bucht.“
„Ich habe Orion, meinem Hengst, ein wenig Auslauf am Strand gegönnt. Vielleicht hat Malcolm etwas verwechselt“, erwiderte Asher, ohne eine Miene zu verziehen, und nahm sich ein weiteres Stück Toast.
Taris wandte sich Emerald zu. „Können Sie schwimmen, Lady Emma?“
„Sie kann“, antwortete Asher für sie. Seine Stimme hatte einen deutlich warnenden Unterton, der Taris davon abhielt, weiterzufragen.
Zum Glück war das Frühstück kurz darauf beendet, und der Gastgeber empfahl sich mit der Ankündigung, er habe in der nahe gelegenen Stadt zu tun und werde bis zum Abend und vielleicht sogar über Nacht dort bleiben.
Emerald ergriff die Gelegenheit beim Schopf und durchsuchte das nächste Dutzend Räume – indes ohne Erfolg.
Nach einer Partie Schach mit Taris am Abend zog sie sich in ihr Zimmer zurück und ging zu Bett, um über weitere Möglichkeiten nachzugrübeln, wie sie an den Spazierstock herankommen konnte. Wie immer, wenn sie nachdenken wollte, griff sie nach ihrer Mundharmonika. Sie hatte sich ein paar Kissen in den Rücken gestopft und gerade begonnen, eine alte jamaikanische Weise zu spielen, als es klopfte. Hastig sprang sie hoch, zog sich ein Nachthemd über und öffnete vorsichtig die Tür.
Vor ihr stand Asher mit windzerzausten Haaren und vom Whisky leicht getrübten Augen.
„Ich muss mit Ihnen sprechen.“
„Hier? Jetzt?“
„Es wird nur einen Moment dauern.“
„Also schön“, erwiderte Emerald zögernd, obwohl sie sich keineswegs sicher war, ob
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