Liebe ist der größte Schatz
setzte sich nicht auf den Stuhl neben ihrem Bett, sondern begab sich ans Fenster.
„Asher hat mir erzählt, dass Sie sich in der Pflicht fühlen, dieses Unrecht wiedergutzumachen.“ Er zeigte auf seine Augen.
Emerald hielt den Atem an. Selten kam jemand so direkt zum Punkt, und dafür mochte sie Taris umso lieber. „Wenn Asher meinem Vater nicht begegnet wäre …“
„Sie sind mir als ein Mensch aufgefallen, der selten das Wort ‚wenn‘ gebraucht. ‚Wenn ich nicht dies getan hätte‘ oder ‚wenn ich jenes unterlassen hätte‘ …“
Sie musste trotz der Umstände lächeln. „Mein Vater war ein Mensch, der glaubte, ihm gehörten die Weltmeere, und besonders die Region um die Turks Inseln. Wenn ihm dort nicht die ‚Caroline‘ vors Fernrohr gekommen wäre …“ Emerald brach ab und schmunzelte, weil sie schon wieder das Wort „wenn“ gebraucht hatte. „Dass Sie Ihr Augenlicht verloren, verdanken Sie der Habgier meines Vaters.“
„Der Verlust meines Augenlichtes war das Ergebnis des Versuches, Asher zu Hilfe zu kommen. Wenn es nicht in der Karibik geschehen wäre, hätte es mich woanders erwischt – bei einem Kutschenunfall oder einem Galopp zum Strand. Das ist Schicksal, Emerald, oder Vorsehung. Nennen Sie es, wie Sie wollen. Ich gebe weder meinem Bruder noch Ihnen die Schuld an meinem Unglück. Aber Sie könnten mir trotzdem einen Gefallen tun.“
„Ja?“
„Heiraten Sie Asher.“
Um ein Haar wäre sie in schallendes Gelächter ausgebrochen. Doch Taris schien es wahrhaftig ernst zu meinen, dies schloss sie aus seiner feierlichen Miene. „Ich denke, dass Ihr Bruder mich unter gar keinen Umständen mehr heiraten würde.“
„Sie sind die Einzige, die ihn retten kann.“
„Retten wovor?“
„Vor sich selbst. Er gibt sich für alles die Schuld.“ Taris tastete nach der Bank vor dem Fenster und ließ sich darauf nieder. „Als Melanie sich erkältete, ging sie mit einer Tasse heißem Tee mit Honig zu Bett. Dann stieg das Fieber, und der Arzt musste kommen. Und als es noch schlimmer um sie stand, saß meine Mutter an ihrem Bett, um ihr die Hand zu halten und bei ihr zu sein, als sie für immer die Augen schloss. Wenn Asher daheim gewesen wäre, hätte er sich genauso die Schuld an ihrem Tod gegeben. Dabei hätte er sie ohnehin nicht retten können.“
Taris schwieg einen Augenblick, dann sagte er leise: „Ein Mensch kann aber auch sterben, ohne körperlich krank zu sein. Einfach, indem er sich aufgibt. Und genau dies hat Asher getan.“
Sprachlos starrte Emerald Taris an. Sie brauchte einen Moment, um zu verinnerlichen, was sie gerade gehört hatte. Die Wucht seiner Worte ging ihr durch und durch. Taris stand seinem Bruder nahe. Nahe genug, um zu wissen, was in ihm vorging. Nahe genug, um die Dämonen zu kennen, die Asher trieben.
Und Taris traute ihr zu, Asher zu retten?
Sie holte tief Luft. Dann nickte sie feierlich, außerstande, angemessene Worte zu finden.
„Ich danke Ihnen.“
„Sie haben mich nicken sehen?“
„Ich habe gespürt, wie Sie zustimmen.“
„Wo ist Asher jetzt?“, fragte sie, als ihr Besucher sich anschickte zu gehen.
„Er ist geschäftlich nach London gefahren. Eine Reihe von Schiffen soll in Kürze nach Indien aufbrechen.“
Sie hörte die Betrübnis in seiner Stimme, das Fernweh und die Erinnerung an die früheren Zeiten. „Ich kenne einen Medizinmann in Jamaika, der fast alles zu heilen vermag – selbst den Verlust des Augenlichts …“
Er lachte. „Sie sind die erste Person, die mein Leiden beim Namen nennt und mir gleichzeitig die Heilung in Aussicht stellt. Emerald, Sie passen gut in unsere Familie.“ Er wandte sich um und verließ das Zimmer.
14. KAPITEL
Emerald fand die Karte auf ihrem Bett, als sie von einem Spaziergang durch den Barockgarten zurückkehrte, bei dem die Dowager Duchess of Carisbrook sie begleitet hatte.
Asher war wieder zu Hause. Er musste gewartet haben, bis er sicher war, dass sie ihr Zimmer verlassen hatte. Acht Tage hatte sie ihn nicht mehr gesehen, und erst heute, nach all der langen Zeit, die sie das Bett hatte hüten müssen, war sie das erste Mal wieder aufgestanden und hatte sich hinausgewagt. Die Wunde neben ihrem Magen war verheilt, und nur eine rötliche Narbe war noch zu sehen.
Sie rollte die Karte auf und überflog die Breiten- und Längengrade, die auf der Zeichnung vermerkt waren. West lich von Powell Point, am oberen Ende von Ship Chan Cay. Und ein Datum fand sie darauf: 1808. Das Jahr, nachdem
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