Liebe ist der größte Schatz
zartrosa bis gelborange, als die Sonne über dem Horizont aufging.
Vorerst durfte sie sich in Sicherheit wähnen. Offenbar hatten sie davon abgesehen, sie nach Newgate ins Gefängnis zu bringen oder ins Armenhaus. Sie befand sich immer noch auf Falder, in ihrem Schlafzimmer.
Sosehr sie sich wünschte, Falder wäre ihr Zuhause – sie gehörte nicht hierher. Sie war ein gefährlicher Eindringling aus einer fremden Welt, wo Ehre, Rechtschaffenheit und Tradition nur wenigen Menschen ein Begriff war. Verlegen erinnerte sie sich, dass sie Asher gestern, als er gerade hatte gehen wollen, erneut ihre Liebe gestanden hatte; und als habe er ihre Gedanken gelesen, öffnete sich die Tür und er kam in den Raum.
Die Bedienstete schlug erschrocken die Augen auf und erhob sich hastig. Sie huschte lautlos aus dem Zimmer, während Asher in staubiger Reitmontur an Emeralds Bett trat. „Ich denke, wir sollten uns unterhalten.“
Sie nickte und sah ihn unverwandt an. Hinter seiner freundlichen Fassade spürte sie die mühsam bezähmte Wut.
„Du bist Emerald Sandford, richtig?“
Sie nickte wieder.
„Wer hat dir das Fechten beigebracht?
„Mein Vater, Azziz, Toro, jeder, der ein wenig Zeit für mich aufbringen konnte.“
„Warst du es, die mir auf der ‚Mariposa‘ einen Stoß versetzte, sodass ich über die Reling stürzte?“
„Ja.“
„Weshalb?“
„Wenn du an Bord geblieben wärst, hätte mein Vater dich getötet. Er hatte fünfzig Männer bei sich und weitere zehn, die noch auf der ‚Caroline‘ kämpften.“ Emerald verstummte und senkte den Blick. „Er ließ nie jemanden am Leben, und ich wollte dir einen Gefallen tun, weil du mich verschont hattest.“
„Du denkst, du hast mir einen Gefallen getan, als du mich ins Wasser gestoßen hast?“ Vor Zorn konnte Asher kaum sprechen. „Du hättest mir lieber den Kopf abschlagen sollen, als mich den Qualen auszusetzen, die auf mich warteten.“
„Ich wusste nicht …“
„Du bist eine Piratin, Emerald.“ Ihr Name kam ihm über die Lippen, als könne er ihn nicht ausstehen. „Du hast Menschen umgebracht, um dich an ihnen zu bereichern.“
Sie hob den Kopf und sah ihm fest in die Augen. Vergangenes Unrecht vermochte sie nicht rückgängig zu machen. „Denk über mich, was du willst. Ich kam nur nach England, um die Karte zu finden“, erwiderte sie so gleichmütig, wie es ihr möglich war.
„Das ist alles, was du von mir willst? Nichts weiter?“
Ich will, dass du mich liebst. Ich will, dass du mich in die Arme nimmst und mich beschützt. Für immer.
Beinahe hätte sie ihre sehnsuchtsvollen Gedanken laut ausgesprochen, doch in letzter Sekunde hinderte sie sich daran und versicherte ihm stattdessen: „Ich will nur die Karte in meinen Besitz bringen.“
Asher nickte und griff dann in seine Rocktasche. Er stand nun da wie ein Kapitän an Deck seines dem Sturm trotzenden Schiffes. Unerreichbar, einsam, aufgewühlt. „Ich habe sämtliche Personen in meinem Haushalt, die über dich Bescheid wissen, instruiert, deine wahre Identität für sich zu behalten. Für den Augenblick bist du sicher. Doch wenn es dir besser geht, würde ich es vorziehen, dass du dein Zimmer nicht verlässt, ohne jemanden an deiner Seite zu haben.“
„Weil du befürchtest, ich könnte deiner Familie etwas zuleide tun?“, fragte sie verletzt. Sein kalter Blick brach ihr das Herz.
Er ging nicht auf ihre Bemerkung ein. „Ich werde mich um eine Passage für dich und deine Leute nach Jamaika kümmern“, sagte er stattdessen. „Falls du das möchtest. Du kannst auf meinem Schiff von Thornfield aus reisen.“
Sie nickte, außerstande, etwas zu sagen.
„Und wenn du Geld brauchen solltest …“
„Nein, ich brauche lediglich die Karte.“
Zum Glück machte er auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Wäre er auch nur einen Moment länger stehen geblieben, hätte sie seine Hand ergriffen und ihn angebettelt, sie in seine Arme zu nehmen.
Asher stand im Korridor und lehnte sich gegen die schwere Eichentür ihres Schlafzimmers. Beau Sandfords Tochter, ging es ihm wieder durch den Sinn, und er fuhr sich ratlos über die Stirn. Was um alles in der Welt sollte er mit ihr anfangen? Sie hatte die Angriffe der McIlverrays mit einer Bravour und Tapferkeit abgewehrt, die ihn zutiefst verblüffte, und sie hatte sich ihm geschenkt, um wiedergutzumachen, was ihr Vater ihm und seinen Angehörigen angetan hatte.
Zum ersten Mal seit Tagen sah er einen
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